Kürzlich habe ich in dem Blog-Beitrag „Rückabwicklung von Darlehen: Aktuelles zur (Nicht-)Steuerbarkeit einer Nutzungsentschädigung“ die jüngste BFH-Rechtsprechung vorgestellt, wonach von Banken gezahlte Nutzungsentschädigungen im Zusammenhang mit dem Widerruf von Darlehensverträgen nicht zu steuerpflichtigen Kapitaleinnahmen führen bzw. führen müssen (BFH-Urteile vom 7.11.2023, VIII R 7/21 und VIII R 16/22; BFH-Urteil vom 22.5.2024, VIII R 3/22).
Mein Denkanstoß dazu lautete: „Betroffene sollten sich – im Rahmen der Steuererklärung – auf die BFH-Rechtsprechung berufen und eine Erstattung ihrer Kapitalertragsteuer beantragen, sofern diese einbehalten wurde. Es ist fast immer sinnvoller, sich mit dem Finanzamt (gegebenenfalls vor dem Finanzgericht) bezüglich der Kapitalertragsteuer (Abgeltungsteuer) zu streiten als mit der Bank, denn diese ist nach § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG an die Auslegungsvorschriften der Finanzverwaltung gebunden – und seien diese auch noch so falsch bzw. vom BFH für falsch befunden worden.“
Wie es der Zufall will, hat der BFH kürzlich ein Urteil veröffentlicht, in dem es genau darum ging, dass sich der Betroffene nicht – rechtzeitig – mit dem Finanzamt um den Einbehalt der Kapitalertragsteuer gestritten hat (BFH-Urteil vom 22.5.2024, VIII R 3/22).
Der Sachverhalt:
Der Sachverhalt des Urteils ist sehr komplex. Von daher soll er nachfolgend etwas abstrahiert werden:
Herr Müller hat sich lange mit seiner Bank bezüglich des Widerrufs eines Darlehensvertrages gestritten. Letztlich hat man sich im Rahmen eines Vergleichs geeinigt. Herr Müller war danach berechtigt, sein Darlehen ohne Vorfälligkeitsentschädigung vorzeitig zurückzubezahlen. Die Bank verpflichtete sich, an ihn einen Nutzungsersatz zu bezahlen. Es sollten damit alle Ansprüche erledigt und abgegolten sein. Die Bank zahlte die Vergleichssumme im Oktober 2023 abzüglich Kapitalertragsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer auf ein Konto von Herrn Müller und erteilte hierüber eine Steuerbescheinigung. Herr Müller hat seine Einkommensteuererklärung 2023 bereits im März 2024 abgegeben. Auf den Vergleich mit seiner Bank hat er das Finanzamt nicht aufmerksam gemacht. Das Finanzamt hat von dem Vorgang folglich keine Kenntnis erlangt. Die Nutzungsentschädigung blieb also im Rahmen der Veranlagung unberücksichtigt und auch in dem – endgültigen – Steuerbescheid, der Herrn Müller im Mai 2024 zugestellt wurde, tauchte sie nicht auf.
Aufgrund der Berichterstattung über die aktuellen BFH-Urteile erkennt Herr Müller im Oktober 2024, dass er gut daran getan hätte, die einbehaltene Kapitalertragsteuer zurückzufordern. Die Bank weist einen Antrag auf Erstattung zurück. Kann Herr Müller die Kapitalertragsteuer dann vom Finanzamt zurückfordern? Die Antwort des BFH lautet: Es kommt darauf an!
Das Urteil des BFH:
Im Rahmen der Veranlagung kann der Steuerpflichtige die Überprüfung des Steuereinbehalts beantragen. Dies ergibt sich aus § 32d Abs. 4 EStG. Dieser Antrag ist aber nur möglich, solange die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt wurde bzw. innerhalb der Einspruchsfrist oder wenn sich eine anderweitige Änderungsmöglichkeit nach der AO ergibt. § 32d Abs. 4 EStG enthält selbst keine Rechtsgrundlage für die Änderung einer bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung zu Gunsten des Steuerpflichtigen.
Sofern der Steuerbescheid endgültig ergangen und auch nicht mehr mittels Einspruchs angefochten werden kann, kommt als Änderungsvorschrift nur noch § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO infrage. Auch Kapitalerträge aus jeweils einzeln zu betrachtenden Kapitalanlagen sind Tatsachen in diesem Sinne. Das ein „Nutzungsersatz“ gezahlt wurde, kann sich also als neue Tatsache erweisen. Zwar ergibt sich allein aufgrund der fehlenden Steuerbarkeit des Nutzungsersatzes weder eine höhere noch eine niedrigere Einkommensteuerfestsetzung. Doch die Frage des Steuereinbehalts bzw. die eventuelle Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer ist zu berücksichtigen, so dass eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zumindest dem Grunde nach in Betracht kommen kann.
Im Urteilsfall ist folglich zu prüfen, ob den Steuerpflichtigen ein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsachen tritt, hier also der Zahlung des Nutzungsersatzes und des Steuereinbehalts. Grobes Verschulden im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO setzt Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit voraus. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn ein Steuerpflichtiger die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem, nicht entschuldbarem Maße verletzt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Wesentlichen eine Tatfrage. Dazu ist im konkreten Fall von der Vorinstanz festzustellen, ob und wann dem Kläger eine Original-Steuerbescheinigung vorlag, zu welchem Zeitpunkt eine eventuelle Ersatz-Steuerbescheinigung ausgestellt wurde und ob der Kläger eine Überprüfung des Kapitalertragsteuer-Einbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG bereits mit der Abgabe der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr oder spätestens innerhalb der Einspruchsfrist hätte beantragen können und aus welchen Gründen er dies nicht getan hat.
Denkanstoß:
Betroffene sollten darlegen, warum sie kein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsache trifft. Keinesfalls sollte an der Begründung gespart werden. Persönlich fände ich es aber wenig kulant, wenn die Finanzämter den Steuerpflichtigen in ähnlich gelagerten Fällen ein grobes Verschulden unterstellen würden, zumal die steuerliche Rechtslage nur schwierig zu durchdringen war bzw. ist.
Zusätzlich kommt hier noch die Hürde „Rechtserheblichkeit der Tatsache“ hinzu. Das Finanzamt darf nur ändern, wenn „as Finanzamt bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel schon bei der ursprünglichen Veranlagung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer höheren oder niedrigeren Steuer gelangt wäre.“
Das ist hinsichtlich alter Steuerbescheide vermutlich schwierig hinzubekommen, da BFH Rechtsprechung zum Nutzungsersatz ja erst ab 2023 vorliegt. Die Rückabwicklungen aber schon in längerer Vergangenheit erfolgtenn.
Ich glaube die Hürde „Rechtserheblichkeit der Tatsache“ wird nur sehr schwer zu überspringen sein.
Interessanter Beitrag! Liebe Grüße von Schuster & Partner Steuerberatung Köln