Erst die Corona-Krise hat es möglich gemacht: Um die wirtschaftlichen Folgen abzufedern, verzichtet die Finanzverwaltung derzeit bei der Stundung von Steueransprüchen auf die Zinsfestsetzung (§ 238 AO). Wie dauerhaft mit der Zinshöhe umzugehen ist, entscheidet in diesem Jahr das Bundesverfassungsgericht – hoffentlich bald.
Hintergrund
Der Streit um die Höhe der Finanzamtszinsen, die nach § 238 AO derzeit 0,5 Prozent pro Monat (also 6 Prozent im Jahr) betragen, schwelt seit Jahren. Eskaliert ist der Konflikt, seit der BFH in einem Sofortverfahren ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken gegen den aktuellen Zinssatz geäußert und deshalb die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheides angeordnet hat (BFH v. 25.4.2018 – IX B 21/18 und v. 3.9.2018 – VIII B 15/18. Das BMF hat daraufhin seit Ende 2018 auf Antrag die Vollziehung von Zinsbescheiden für Verzinsungszeiträume ab dem 1.4.2012 ausgesetzt (BMF-Schreiben v. 14.12.2018 – IV A 3 – S 0465/18/10005-01), hält aber im Übrigen im Anwendungserlasses zur Abgabenordnung am Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat fest (AEAO v. 31.1.2019 – IV A 3 –S 0062/18/10005). Eine Umsetzung der Anwendungsregeln zur AdV nach § 361 AO vermisst man im neuen AEAO. Politische Vorstöße zur Änderung der geltenden Zinssätze sind bislang wiederholt ohne Erfolg geblieben (BR-Drucks. 396/18, 397/18 vom 21.9.2018).
Stundungszinsen in der Corona-Krise
Wie bereits berichtet, haben angesichts der weitreichenden wirtschaftlichen Konsequenzen der sog. Corona-Krise Bund und Länder beschlossen, zur Schonung der Liquidität betroffener Unternehmen Stundung von Steuerforderungen zu gewähren und zwar – entgegen § 238 AO – zinsfrei. Der Bund hat offengelassen, wie lange das gilt. In Bayern ist es ein Zeitraum von drei Monaten. Wünschenswert wäre, dass diese in einer wirtschaftlichen Schieflage der deutschen Wirtschaft dringend erforderliche Billigkeitsmaßnahme einen Paradigmenwechsel in der Verzinsungspolitik des Steuergesetzgebers einleitet: Eine dauerhafte Änderung des Zinssatzes in § 238 AO, der realitätsgerecht das Marktniveau abbildet.
Beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren
Das BVerfG hatte bereits 2019 verlautbart, dass es noch in 2019 entscheiden wollte, ob der gesetzliche Zinssatz des § 238 Abs. 1 AO von 0,5 Prozent für jeden Monat (also 6 Prozent/Jahr) für Verzinsungszeiträume nach dem 31.12.2009 beziehungsweise nach dem 31.12.2011 verfassungswidrig ist (BVerfG 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) – daraus ist im letzten Jahr nichts geworden.
Bereits seit März 2018 sind zwei weitere Verfahren zur Zinsproblematik beim BVerfG anhängig. Seit Jahren warten Steuerpflichtige auf die Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit des derzeit unverändert geltenden Zinssatzes von 0,5 Prozent/Monat (6 Prozent/Jahr) gemäß § 238 AO. Eine Entscheidung der seit 2014 bzw. 2017 anhängigen Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes in den VZ 2009 bzw. 2011 ist nunmehr nach wiederholter Verschiebung für das Jahr 2020 angekündigt. Beim Bundesverfassungsgericht sind inzwischen weitere Verfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Zinssätze anhängig (2 BvR 2706/17, 2 BvL 22/17). Das Verfahren 2 BvR 2706/17 betrifft die Frage, ob die gewinnerhöhende Abzinsung von Angehörigendarlehn in Höhe von 5,5 Prozent im Jahr 2006 verfassungsgemäß war; der BFH hatte diesbezüglich keine Bedenken (BFH v. 13.7.2017 – VI R 62/15). Das Verfahren 2 BvL 22/17 betrifft die Frage, ob der Rechnungszins bei Pensionsrückstellungen mit 6 Prozent/Jahr (§ 6a Abs. 3 S. 3 EStG) im Jahr 2015 verfassungsgemäß war.
Es wird deshalb Zeit, dass das BVerfG diese für die Praxis so wichtige Zinsfrage endlich in diesem Jahr entscheidet – je früher desto besser. Leider betreffen die anstehenden BVerfG-Entscheidungen Veranlagungszeiträume in der Vergangenheit. Jedenfalls im Frühjahr 2020 sollte nach den Erfahrungen mit den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie aber klar sein, dass ein Zinssatz von 6 Prozent/Jahr nicht mehr in die praktische Realität passt. Der deutsche Steuerzahler – egal ob Privatperson oder Unternehmen – wird die Folgen der Corona-Krise noch auf Jahre hinaus spüren, ein völlig überzogener Zins ist deshalb das falsche Signal und überfordert die Steuerschuldner. Sollte also das BVerfG in seinen dieses Jahr anstehenden Entscheidungen kein Machtwort sprechen, sollte wenigstens der Gesetzgeber bei seinen weiteren steuerpolitischen Maßnahmen in Bezug auf den Finanzamtszins endlich vernünftig werden…
Quellen:
Mein Anliegen hat 2 Aspekte, zum einen der Zinssatz und zum anderen die überlange Bearbeitungszeit, für die sich das FA dann noch eine Extra-Einnahme genehmigt. An dem zweiten Punkt sollten andere Regelungen greifen. Man fühlt sich ausgeliefert, rechtlos und geschröpft.