In meinem ersten Hinweis vor gut acht Monaten hatte ich es schon prognostiziert: Die BFH-Entscheidung zur Anforderung der Anschrift in einer Rechnung wird noch für Diskussionen sorgen. Inzwischen liegen über zwanzig Stellungnahmen zum Urteil vor – Zeit, für etwas überblickende Klarheit. Denn die Auflösung erscheint simpel.
Grundsatz: Falsche Adresse unschädlich
Wenn auf der Rechnung zutreffende (also den Betroffenen zuzurechnende, physische) Adressen von Leistendem und Empfänger stehen, ist der Vorsteuerabzug gesichert. Ob die Adressen den jeweiligen wirtschaftlichen Sitz des Betroffenen darstellen, ist unerheblich. Daran hat auch der BFH im Grunde wohl nichts auszusetzen. Es ist ja klar, dass ein Unternehmer nicht regelmäßig bei allen Leistenden vorbeischauen kann um zu prüfen: Findet dort wirtschaftliche Aktivität statt?
Nur wollte das Gericht – aus damaliger Sicht sicher zutreffend – bei einer Adresse abweichend vom wirtschaftlichen Sitz über das Billigkeitsverfahren gehen. Das war nicht zu bemängeln, weil es keine Rechtsgrundlage für einen Gutglaubensschutz auf Vorsteuerabzug gab. Dies ist für die Anschrift durch die EuGH-Entscheidung Rs. PPUH Stehcemp nun überholt. Hierauf wird der BFH bei nächster Gelegenheit sicher eingehen. Ein passendes Verfahren ist ja bereits anhängig. Kein Problem!
Ausnahme: Missbrauch(sverdacht)
Etwas anderes gilt nur in einem einzigen Ausnahmefall: Missbrauchsverdacht. Wurde etwa die ausgewiesene Mehrwertsteuer nicht entrichtet, prüft die Finanzverwaltung zulässigerweise die Abzugsberechtigung bei der Vorsteuer. Bei physischen Adressen wird der Unternehmer allerdings regelmäßig gutgläubig sein. Er kann ohne Spezialkenntnisse nicht wissen, dass an der angegebenen Anschrift – wie im EuGH-Fall – nur ein „heruntergekommenes“ Gebäude (ob sich da der polnische vom deutschen Maßstab wohl unterscheidet?) steht. Oder vielleicht gar kein Gebäude. Auch da geht der Vorsteuerabzug dann über das Festsetzungsverfahren. Wieder kein Problem!
Postfach ist verdächtig
Zutreffend halte ich indes den Ausschluss von Postfächern aus der hinreichenden Rechnungsanschrift. Denn die Adressangabe ist kein Selbstzweck. Sie soll der Finanzverwaltung ohne übermäßigen Aufwand Prüfungshandlungen und nicht nur Korrespondenz ermöglichen. Soll die Steuerfahndung erst einen Brief schicken, um nach dem Weg zum Unternehmen zu fragen? Irrsinnig.
Jeder Unternehmer verfügt über einen wirtschaftlichen Geschäftssitz. Auch wenn der Betrieb nur aus dem Auto heraus oder über ein Smartphone erfolgt: im Zweifel ist der Hauptwohnsitz auch der Geschäftssitz (siehe aktuell etwa für den Erpresser: Trinks, Neue Zeitschrift für Strafrecht 5/2016 S. 263). Will der Unternehmer nicht überall seine Privatanschrift herumposaunen, muss er sich einen Betriebssitz zulegen. Das ist unter dem Aspekt der Missbrauchsvermeidung im Steuerrecht zumutbar.
Wird also nur ein Postfach angegeben, ist das missbrauchsverdächtig. Da hilft es auch nicht, dass im Postfachmietvertrag eine reale Adresse angegeben ist. Man kann für ein Postfach Nutzer nachtragen. Man kann auch umziehen und es der Post (ggf. vertragswidrig) nicht mitteilen. Ein solches Risiko muss die Finanzverwaltung – und damit letztlich die Gesamtheit der Steuerzahler – nicht tragen. Deshalb könnte die Verwaltung (auch ohne UStAE-Änderung) Vorsteuer in Missbrauchs- und sonstigen Fällen künftig versagen, wenn als Rechnungsanschrift nur ein Postfach genannt wird. Das ist für die Praxis zwar mitunter ein Problem, aber kein unlösbares.
Weitere Infos:
- BFH, Az. V R 23/14 (Postfach-Entscheidung)
- BFH, Az. V R 25/15 (Scheinfirma)
Verfahrensverlauf – Status: anhängig per 20.05.2016 - EuGH, Rs. C-277/14 (‚PPUH Stehcemp‘) – „heruntergekommener“ Firmensitz
- Iser, Vollständige Anschrift (Teil 3): Keine Vorsteuer bei realen Briefkastenfirmen aber bei einem nicht existenten Unternehmer?
- Trinks, BFH: Keine Vorsteuer aus Briefkasten-Rechnung