In einem brandaktuellen Urteil vertritt das FG Nürnberg die Ansicht, dass auch in den Veranlagungszeiträumen 2020 und 2021 die Erhebung des Solidaritätszuschlages verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (Urteil vom 29.07.2020 – 3 K 1098/19). Wie ist das einzuordnen?
Hintergrund
Ab 2021 wird für die meisten Steuerzahler der Solidaritätszuschlag, eine Ergänzungsabgabe zur tariflichen Einkommen- bzw. Körperschaftssteuer wegfallen. (Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlages 1995 vom 10.12.2019 – BGBl 2019 I S. 2115). Von der Neuregelung profitieren rund 90 % der Steuerpflichtigen, bis zu einem zu versteuernden Einkommen von 61.717 € ist gar kein Soli mehr fällig. In der sogenannten „Milderungszone“ bis zu einem zu versteuernden Einkommen von 96.409 € profitieren 6,5 % der Steuerzahler von einer Entlastung. Aber: sogenannte „Besserverdiener“, die schon heute den weit überwiegenden Teil des Zuschlags zur Einkommen- und Körperschaftsteuer finanzieren, sollen den Soli auch in Zukunft in unveränderter Höhe weiterzahlen.
Die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlages ist seit Jahren auch für zurückliegende Veranlagungszeiträume heftig umstritten. Eine Entscheidung des BVerfG steht noch immer aus. Der BFH hat den Soli bislang für verfassungsgemäß erklärt, so zum Beispiel in den VZ 2005 und 2007 (BFH vom 21.07.2011 – II R 50/09und II R 52/10,), aber auch für das Streitjahr 2011 (BFH 14.11.2018 – II R 63/15).
Worum ging es im Verfahren vor dem FG Nürnberg?
Streitig war, ob das FA den Antrag auf Herabsetzung der Steuervorauszahlungen zum Solidaritätszuschlag ab 01.01.2020 auf 0 Euro wegen behaupteter Verfassungswidrigkeit des Solis zu Recht abgelehnt hat. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass „automatisch“ mit Auslaufen des Solidarpakts II (und damit der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs auch der Solidaritätszuschlag nach dem SolzG 1995 seine Rechtfertigung verliert, weil der Solidarpakt II mit Ablauf des 31.12.2019 „erledigt“, also finanziert war). Außerdem vertrat der Kläger die Ansicht, dass es nach Ablauf des VZ 2019 für die Erhebung des Solis keine ausreichende rechtliche Grundlage mehr gäbe.
Wie hat das FG Nürnberg entschieden?
Das FG Nürnberg stellt sich auf die Seite des Fiskus und konnte die erforderliche Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlagsgesetzes für VZ ab 2020 nicht gewinnen. Deswegen bestand für das FG Nürnberg wegen der erforderlichen „Überzeugung“ der Verfassungswidrigkeit keine Vorlageverpflichtung an das BVerfG gem. Art. 100 Abs. 1 GG. Zur Begründung stellt das FG Nürnberg im Kern fest:
- Der Soli findet als Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 auch für die VZ 2020 und VZ 2021 eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage. Nach Ansicht des Gerichts handelt es sich um eine echte Steuer (§ 3 AO), für die der Bund die Ertragshoheit und auch alleinige Gesetzgebungskompetenz hat (Art. 105 Abs. 2 GG).
- Das FG Nürnberg ist ausdrücklich nicht der Ansicht, dass mit Auslaufen des Solidarpakts II auch der Soli seine verfassungsrechtliche Rechtfertigung verloren habe. Eine politische Absichtserklärung zur seinerzeitigen Rechtfertigung des Solis mag bestehen, eine rechtliche Verbindung dahingehend, dass allein der Solidarpakt II den Mehrbedarf des Bundes zur Finanzierung der Lasten der Wiedervereinigung begründet, sieht das FG Nürnberg allerdings nicht.
Bewertung
Auch nach der Entscheidung des FG Nürnberg (vom 29.07.2020 – 3 K 1098/19) dürfte die juristische Auseinandersetzung über die Verfassungsmäßigkeit des Soli nicht beendet sein. Deswegen ist nur zu verständlich, dass das FG Nürnberg die Revision zum BFH zugelassen hat. Der BFH erhält damit Gelegenheit, nunmehr auch für den VZ 2020 und 2021 zu entscheiden, ob der Soli noch eine Daseinsberechtigung hat, die verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.
Wie tief der politische Riss um die Zukunft des Solidaritätszuschlags ist, zeigt allein die Stellungnahme des Bundesrates zum Soli-Rückführungsgesetz vom Dezember 2019 (BR-Drs. 396/1/19 vom 30.09.2019): Dort hatte der federführende Finanzausschuss der Bundesregierung empfohlen, den Soli ab 2021 vollständig abzuschaffen und stattdessen eine etwaige Ergänzungsabgabe wirkungsgleich in das bestehende Steuersystem und den Einkommensteuertarif zu integrieren.
Dem ist zuzustimmen, weil hiermit eine aufkommensneutrale Anpassung der Steuertarife erfolgen könnte und die Finanzierungsbedarfe des Bundes und der Länder steuersystematisch logisch und für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar abgebildet würden. Hinzu kommt, dass auch nach Ansicht des BFH (vom 21.07.2011 – II R 52/10, Rz. 25) eine „Ergänzungsabgabe“ nur einen „temporären Finanzbedarf“ abdecken darf. Eine Anpassung der Steuertarife wäre vor diesem Hintergrund politisch ehrlicher als die rechtlich fragwürdige Aufrechterhaltung der Soli-Regelung mit einem „gekünstelten“ Finanzierungsbedarf.
Ob der Gesetzgeber allerdings in der laufenden Legislaturperiode noch den erforderlichen Gesetzgebungsmut aufbringt, erscheint zweifelhalt. Somit ruht weiterhin die „letzte Hoffnung“ auf dem Bundesverfassungsgericht, das schon seit Jahren über die Verfassungsmäßigkeit des Solis und damit Grundfragen seiner verfassungsrechtlichen Rechtfertigung entscheiden will (BVerfG – 2 BvL 6/14).
Quellen:
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