Nachträglicher Antrag auf Günstigerprüfung der Besteuerung von Kapitalerträgen

Die Abgeltungsteuer von 25 Prozent auf Kapitalerträge ist vielfach höher als der individuelle Steuersatz eines Steuerpflichtigen. Daher erlaubt der Gesetzgeber in § 32 Abs. 6 EStG einen Einbezug der Kapitaleinkünfte in die Einkommensteuerveranlagung und eine Besteuerung zum individuellen Steuersatz. Dazu ist aber ein Antrag auf Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG zu stellen. Zuweilen wird ein solcher Antrag vergessen oder er wird bewusst nicht gestellt, weil dieser aufgrund hoher Einkünfte sinnlos gewesen wäre. Doch manchmal hält das Leben Überraschungen bereit, zum Beispiel in Form eines geänderten Steuerbescheides mit erheblich niedrigeren Einkünften als im Ursprungsbescheid. Ist ein Antrag auf Günstigerprüfung in diesem Fall nachträglich zulässig?

Ja, sagt der BFH. Die Festsetzung der Steuer in einem Änderungsbescheid nach Eintritt der Bestandskraft, die aufgrund der im Änderungsbescheid berücksichtigten Besteuerungsgrundlagen erstmals eine erfolgreiche Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG ermöglicht, ist ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, das einen korrekturbedürftigen Zustand auslöst (BFH-Urteil vom 14.7.2020, VIII R 6/17).

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Kläger hatten in ihrer Einkommensteuererklärung 2010 zwar Kapitaleinkünfte angegeben, jedoch keinen Antrag auf Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG gestellt. Hierzu bestand aufgrund der Höhe der Einkünfte kein Anlass, da der Abgeltungsteuersatz erheblich unter dem individuellen Steuersatz lag. Doch nach der Bestandskraft des Bescheides erließ das Finanzamt einen geänderten Bescheid. Es stellte sich heraus, dass dem Ehemann Einkünfte aus einer Beteiligung zuzurechnen waren, die deutlich unter dem ursprünglich angesetzten Betrag lagen. Da sich nun eine Besteuerung der Kapitalerträge mit dem individuellen Steuersatz lohnte, stellten die Eheleute den Antrag auf Günstigerprüfung nachträglich. Dies ist nach Ansicht des BFH zulässig. Der Erlass eines geänderten Steuerbescheides, der nun erstmals eine Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG sinnvoll macht, sei ein rückwirkendes Ereignis. Insoweit erlaube § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO im Zusammenspiel mit § 351 AO eine nachträgliche Antragstellung.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Von dem Wahlrecht nach § 32d Abs. 6 EStG ist die Veranlagungsoption für unternehmerische Beteiligungen an Kapitalgesellschaften nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG zu unterscheiden. Der Antrag zu dieser Veranlagungsoption ist spätestens zusammen mit der Einkommensteuererklärung für das jeweilige Jahr zu stellen (BFH-Urteil vom 28.7.2015, VIII R 50/14; BFH-Urteil vom 14.5.2019, VIII R 20/16, vgl. Blog-Beitrag „Verdeckte Gewinnausschüttung: Wann ist der Antrag auf Anwendung der günstigeren Regelbesteuerung zu stellen?“). Der BFH nimmt hier eine äußerst strenge Sichtweise ein.

Weitere Informationen:
BFH-Urteil vom 14.7.2020, VIII R 6/17


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