Im Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen gibt es fast 2.000 Baugenossenschaften, die rund 2,2 Millionen Wohnungen verwalten. Der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband schätzt, dass mehr als 5 Millionen Menschen in einer Genossenschaftswohnung leben (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Wohnungsbaugenossenschaft)
Insofern dürfte die folgende Information viele Wohnungsbaugenossenschaften und deren Mitglieder aufhorchen lassen: Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass eine Mietminderung, die eine Wohnungsbaugenossenschaft ihren Mitglieder anstelle einer Gewinnberechtigung gewährt, als Kapitalertrag zu versteuern ist (Urteil vom 15.6.2021, 9 K 9068/20). Dies beruhe auf dem Zusammenspiel von § 20 Abs. 3 und § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Das heißt: Der Anspruch eines Mitglieds auf Minderung des Nutzungsentgelts für die von ihm bewohnte Genossenschaftswohnung stellt einen besonderen Vorteil im Sinne des § 20 Abs. 3 EStG dar, der gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG als Kapitalertrag gilt.
Die Kläger waren Mitglieder einer Wohnungsbaugenossenschaft und nutzten eine Genossenschaftswohnung. Sie erwarben zusätzlich freiwillige Genossenschaftsanteile ohne Dividendenberechtigung. Im Gegenzug wurde die zu zahlende Wohnungsmiete herabgesetzt. Die Höhe der Verringerung der Wohnungsmiete erfolgte dabei in Abhängigkeit der von der Vertreterversammlung beschlossenen Dividende auf freiwillige Anteile, die an Gewinnausschüttungen teilnahmen. Das Finanzamt kam zu dem Schluss, dass es sich bei den Mietminderungen, die den Mitgliedern gewährt wurden, aus deren Sicht um Einnahmen aus Kapitalvermögen handele. Die hiergegen gerichtete Klage blieb ohne Erfolg.
Das FG hat jedoch die Revision zugelassen, die unter dem Az. VIII R 23/21 anhängig ist. Ich bin gespannt, wie das Verfahren ausgeht. Zunächst einmal klingt die Entscheidung logisch. Wenn ich einen Genossenschaftsanteil zeichne und ein Gewinnbezugsrecht erwerbe, muss ich die Gewinnausschüttung versteuern. Wird mir stattdessen ein Sachwert gewährt, kann nichts anderes gelten. Insofern ist es konsequent, bei einem von Anfang an vereinbarten Verzicht zugunsten einer Mietminderung gleichermaßen einen steuerpflichtigen Vorteil anzunehmen.
Allerdings fördert der (Steuer-)Gesetzgeber die verbilligte Überlassung von Wohnungen über § 21 Abs. 2 EStG, das heißt über die 50- bzw. 66-Prozent-Grenze. Und auch gesamtpolitisch ist die Zurverfügungstellung von günstigem Wohnraum gewollt. Folglich ist es zumindest laienhaft betrachtet unlogisch, wenn ein Mietvorteil versteuert werden muss. Dennoch spricht wohl wesentlich mehr für als gegen eine Versteuerung, zumal § 21 EStG, und zwar auch der dortige Absatz, nur subsidiär anzuwenden sind und § 20 EStG Vorrang hat.