In den letzten drei Blog-Beiträgen hatte ich zunächst einen Überblick zum Vorschlag des IDW für einen Wertekodex gegeben und begonnen, die Anforderungen des Kodex kritisch zu hinterfragen. Mit dem vorliegenden Beitrag will ich diese Auseinandersetzung abschließen und zu einem Gesamtergebnis zusammenführen. Wie schon in den letzten Blogs angemerkt, handelt es sich um eine erste und exemplarische Annäherung.
„Ethische Werte“ und Grundgesetz?
Das ausführliche Aufgreifen der „Gendersprache“ im letzten Blog war nur ein Beispiel. Mit längerem Nachdenken und Forschen lassen sich solche Diskussionen sicher auch zu anderen ethischen Werten führen. Im Hinblick auf Vermeidung der Diskriminierung könnte man z.B. auf die Forderung von Quoten für im Kodex genannte Gruppen kommen. Daraus folgt aber sofort die Frage der Vereinbarkeit mit Art. 3 GG. Denn dieser schafft einen für jedes Individuum geltendes Grundrecht, das durch Quoten verletzt werden kann.
Weiterhin stellt sich die Frage, ob man da, wo Art. 3 GG ein Benachteiligungsverbot ausspricht, im Kodex ein Begrüßen propagieren sollte. Beispielsweise gibt es aufgrund der Historie sicher für Individuen gute Gründe, Religionen generell kritisch gegenüber zu stehen. Das Grundgesetz fordert zu Recht den Verzicht auf Benachteiligung von Grundrechtsträgern aufgrund deren religiöser Anschauung. Muss man solche Anschauungen aber mit den Worten des Kodex als Bereicherung persönlich und in der Berufsausübung empfinden oder reicht es nicht, dass die religiöse Anschauung im Beruf einfach keine Rolle spielt, allein schon, um diejenigen nicht zu diskriminieren, die Religionen kritisch gegenüberstehen? Und darüber hinaus: Können religiöse Anschauungen u.U. die gebotene Objektivität bei der Berufsausübung nicht auch einschränken?
Wollen wir uns als Berufsstand auf das verminte Gebiet der Festlegung und Auslegung allgemeiner ethischer Werte begeben? Und viel mehr: Sollen und dürfen wir das überhaupt, womit wir beim nächsten Punkt wären:
WP, wie hältst Du es mit der Unabhängigkeit und Unbefangenheit?
Anerkennt man, dass (ethische) Werte und Grundsätze nicht immer binär i.S.v. Gut und Böse auszulegen sind, ist der WP dann im Rahmen seiner Prüfung über die Ordnungsmäßigkeit der Berichterstattung des Mandanten hinreichend frei, wenn er durch einen Kodex gebunden ist. Spätestens wenn nicht finanzielle Unternehmensberichterstattung insb. bezüglich sogenannter ESG-Sachverhalte – soweit überhaupt prüfbar – Prüfungsgegenstand wird, ist die Beurteilung von „Gut und Böse“ vorzunehmen. Wenn das IDW seine Mitglieder über den Kodex festlegt, dann kann sich für den WP in seiner Funktion als eigenverantwortlich tätiger Prüfer durchaus die Frage stellen, ob er noch frei in seinem Urteil über eine abweichende Einschätzung des Mandanten ist.
Muss der Berufsstand mit seinem Unterfangen nicht versagen und die Erwartungslücke maximieren?
Der Entwurf eines IDW-Wertekodex sammelt plakativ vermeintlich positiv besetzte Werte und schafft neue Erwartungen im Hinblick auf ethisches Verhalten im Berufsstand. Wird dadurch alles besser?
Ich habe große Demut vor ethischen Fragen. Die Erfahrung lehrt: Wer hoch steigt, fällt tief. Wer sich hohe Ziele setzt, läuft große Gefahr an diesen zu scheitern. Sind Wirtschaftsprüfer wirklich diejenigen, die zu komplexen ethischen Fragen immer richtig und falsch auseinanderhalten können? Kaum, denn schon die Frage, was gut und was böse ist, lässt sich in der Berufswelt nicht selten gar nicht eindeutig beantworten. Der Berufsstand wird die durch einen Kodex des IDW geschaffenen Erwartungen nur enttäuschen können: Bitte nicht auf den Weg zu einer neuen Erwartungslücke begeben!
Ich persönlich werde diesen Weg nicht mitgehen. Lasst uns darauf konzentrieren, die Berufsanforderungen an WP, wie sie in Gesetzen und Berufssatzung festgelegt sind, ordentlich auszufüllen. Das ist schon schwer genug!