Verstößt der Arbeitgeber schuldhaft gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtung, dem Arbeitnehmer rechtzeitig für eine Zielperiode Ziele vorzugeben, an deren Erreichen die Zahlung einer variablen Vergütung geknüpft ist, kann der Arbeitnehmer dennoch einen Anspruch auf die variable Vergütung haben, auch wenn eine nachträgliche Zielvorgabe ihre Motivations- und Anreizfunktion nicht mehr erfüllen kann – so das BAG (v.19.2.2025 – 10 AZR 57/24).
Hintergrund
Vor allem in Führungspositionen von Unternehmen sind variable Vergütungsbestandteile inzwischen weit verbreitet. Solche Leistungsboni werden als fixer Betrag oder als Prozentvariable vom Grundgehalt zusätzlich gezahlt. Ihnen liegt eine Zielvereinbarung des Vorgesetzten mit dem Mitarbeiter zugrunde, die die Erreichung bestimmter Unternehmensziel oder individueller Ziele in der darauffolgenden Zielperiode zur Voraussetzung der variablen Zahlung macht. Der Arbeitnehmer hat damit die Möglichkeit, durch individuelle Leistung sein Gehalt zu verbessern, eine gute Motivation im Arbeitsverhältnis.
Sachverhalt im Streitfall
Im BAG-Streitfall hatte ein Arbeitnehmer geklagt, der bis Ende November 2019 beim beklagten Arbeitgeber in einer beschäftigt war. Arbeitsvertraglich vereinbart war dabei u. a. ein Anspruch auf eine variable Vergütung. Eine Betriebsvereinbarung bestimmte, dass bis zum 1.3. des Kalenderjahres eine Zielvorgabe des Vorgesetzten zu erfolgen hat, die sich zu 70 Prozent aus Unternehmenszielen sowie zu 30 Prozent aus individuellen Zielen zusammensetzt. Die Höhe des variablen Gehaltsbestandteils richtete sich dann nach der Zielerreichung des Mitarbeiters.
Der Arbeitgeber teilte dem Arbeitnehmer die Ziele für das Jahr 2019 erst sehr spät beziehungsweise gar nicht mit. Erst Ende September 2019 teilte die beklagte Firma dem klagenden Mann lediglich mit, für ihn werde von einem Zielerreichungsgrad für das Jahr 2019 von 142 Prozent für seine persönlichen Ziele ausgegangen. Erst Mitte Oktober 2019 teilte ihm der Arbeitgeber dann erstmals konkrete Zahlen zu den Unternehmenszielen einschließlich deren Gewichtung mit. Für das Jahr 2019 zahlte der Arbeitgeber dem Kläger daraufhin rund 15.500 Euro an variabler Vergütung, ohne ihm individuelle Ziele vorgegeben zu haben.
Hiergegen klagte der Arbeitnehmer mit der Begründung, sein Arbeitgeber sei ihm zum Schadensersatz verpflichtet. Das Unternehmen habe ihm für das Jahr 2019 keine individuellen Ziele und die Unternehmensziele nur sehr verspätet vorgegeben. Der Kläger war der Ansicht, ihm stehe deshalb zusätzlich zu den bereits gezahlten 15.500 Euro noch Schadensersatz in Höhe von rund 16.000 Euro zu. Es sei davon auszugehen, dass er rechtzeitig vorgegebene, billigem Ermessen entsprechende Unternehmensziele zu 100 Prozent und individuelle Ziele entsprechend von 142 Prozent erreicht hätte. Dadurch, dass er keine Gelegenheit gehabt habe, auf die sehr verspätet mitgeteilten Unternehmensziele und die überhaupt nicht mitgeteilten persönlichen Ziele hinzuarbeiten, sei ihm mithin ein Schaden entstanden.
Der beklagte Arbeitgeber hielt entgegen, die Zielvorgabe sei rechtzeitig erfolgt und habe den Grundsätzen der Billigkeit entsprochen. Ein Schadensersatzanspruch wegen verspäteter Zielvorgabe sei deshalb ausgeschlossen. Auch die bezifferte Höhe des Schadens sei unzutreffend. Der Arbeitnehmer könne allenfalls eine Leistungsbestimmung durch Urteil nach § 315 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BGB verlangen. Nachdem die Klage erstinstanzlich vor dem Arbeitsgericht abgewiesen worden war, gab das LAG Köln (Urteil vom 6. Februar 2024 – 4 Sa 390/23) ihr im Berufungsverfahren statt.
Entscheidung des BAG
Die Revision des Arbeitgebers zum BAG blieb jetzt erfolglos. Der Arbeitgeber habe seine Verpflichtung zu einer den Regelungen der Betriebsvereinbarung entsprechenden Zielvorgabe für das Jahr 2019 schuldhaft verletzt, indem er dem Kläger keine individuellen Ziele vorgegeben und ihm die Unternehmensziele erst verbindlich mitgeteilt hat, nachdem bereits etwa neun Monate der Zielperiode (2019) abgelaufen waren. Eine ihrer Motivations- und Anreizfunktion gerecht werdende Zielvorgabe war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Deshalb kommt hinsichtlich der Ziele auch keine nachträgliche gerichtliche Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BGB in Betracht.
Bei der im Wege der Schätzung (§ 287 Abs. 1 ZPO) zu ermittelnden Höhe des zu ersetzenden Schadens war nach § 252 S. 2 BGB von der für den Fall der Zielerreichung zugesagten variablen Vergütung auszugehen und anzunehmen, dass der Kläger bei einer billigem Ermessen entsprechenden Zielvorgabe die Unternehmensziele zu 100 % und die individuellen Ziele entsprechend dem Durchschnittswert von 142 % erreicht hätte.
Der Kläger musste sich auch kein anspruchsminderndes Mitverschulden iSv. § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen. Bei einer unterlassenen oder verspäteten Zielvorgabe des Arbeitgebers scheidet ein Mitverschulden des Arbeitnehmers wegen fehlender Mitwirkung nach dem BAG-Urteil regelmäßig aus, weil allein der Arbeitgeber die Initiativlast für die Vorgabe der Ziele trägt.
Praktische Bedeutung
Die Entscheidung stärkt deutlich die Positionen von Arbeitnehmern (Führungskräften), mit den an Zielerreichung geknüpfte variable Vergütungsbestandteile vereinbart sind, egal ob durch Betriebsvereinbarung oder durch individuellen Arbeitsvertrag. Die Entscheidung belegt auch, wie wichtig aus Arbeitgeber-und Vorgesetztensicht eine klare und vor allem zeitgerechte Zieldefinition bei variablen Vergütungsvereinbarungen ist. Erfolgen Zielvorgaben nämlich zu spät oder gar nicht, riskieren Unternehmen, den vorgesehenen Bonus als Schadensersatz nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB iVm. § 283 Satz 1 BGB zahlen zu müssen, selbst wenn die Ziele nie formal rechtzeitig festgelegt wurden.
Weitere Informationen:
Schadensersatz bei verspäteter Zielvorgabe (BAG-Pressemitteilung 7/2025 v. 19.2.2025)