Reformvorschläge des IDW unter der Lupe
Ein insolventer DAX-Konzern, dessen (mittlerweile) Ex-Vorstand sich auf der Flucht befindet und nach den aktuellen Pressemeldungen (Stand: 20. Juli 2020) sich möglicherweise in Russland aufhält. Ein wahrer Thriller, den sich selbst ein Bestseller-Autor, wie beispielsweise Harlan Coben, kaum besser ausdenken könnte.
Bisher haben sich vermutlich nur wenige dafür interessiert, wie ein Unternehmen in den DAX kommt. Diese Frage habe ich seit dem 18. Juni 2020 doch von vielen meiner Bekannten gehört: Wie kommt so ein Unternehmen in den DAX? Warum wird Wirecard nicht sofort aus dem DAX geworfen? Mir stellt sich noch eine andere Frage: Wie kann ein Unternehmen ohne Prüfungsausschuss und ohne ein funktionierendes Internes Kontrollsystem in die erste Börsenliga kommen? Gute Corporate Governance sieht anders aus.
Vorschläge des IDW
Zur Verbesserung der Regelungen am Kapitalmarkt macht das IDW die folgenden Vorschläge:
- Die Notierung im DAX sollte nicht ausschließlich aufgrund der Marktkapitalisierung und des Handelsvolumens erfolgen. Es sollten auch angemessene Anforderungen an den Nachweis einer Corporate Governance gestellt werden.
- Es sollte diskutiert werden, ob und möglicherweise auch, wie die Transparenz über die Entscheidungen der institutionellen Teilnehmer am Kapitalmarkt verbessert werden kann.
- Die Rechnungslegungsvorschriften sollten weiterentwickelt werden, um die Werttreiber der digitalen Geschäftswelt besser abbilden zu können. Die separate Bilanzierung einzelner Werttreiber und der Werteverzehr dieser aktivierten Vermögenswerte kann die bestehende Problematik des Goodwills abmildern. Das IWD befürwortet die Wiedereinführung der planmäßigen Abschreibung des Goodwills.
Aufstieg in den DAX
Bisher gab es offenbar keinen Grund, von den Regelungen zum DAX-Aufstieg abzuweichen. Nicht nur Wirecard, sondern auch der Abstieg der Deutschen Lufthansa aufgrund der Folgen durch die Corona-Pandemie werfen die Frage auf: Müssten die Regelungen zur DAX-Mitgliedschaft überarbeitet werden?
Insbesondere bei ETFs, die den DAX abbilden, würden sich dadurch einige Änderungen in der Zusammensetzung ergeben. Ein komplexes Thema, das dennoch zeigt: Branchenexperten sollten hier herangezogen werden, um die Regelungen zu reformieren.
Ampel-System eines Corporate Governance-Rankings
Das Thema Corporate Governance hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Doch der aktuelle Fall zeigt: Schlechte Corporate Governance wird nicht unbedingt mit einem geringen Aktienkurs „bestraft“. Auch für die Zulassung zur ersten Börsenliga scheint es bisher keine Rolle zu spielen. Dies muss sich dringend ändern.
Um beispielsweise institutionellen Investoren eine bessere Entscheidungsgrundlage zu liefern sollte über die Einführung eines Scorings für Corporate Governance nachgedacht werden. Die Ergebnisse in Form eines Ampelsystems würden zeigen: Rotes Licht heißt Vorsicht. Ein DAX-Konzern ohne ein funktionierendes Internes Kontrollsystem sollte zu einem roten Licht führen. Und zwar dunkelrot.
Immaterielle Werttreiber – ein Dauerbrenner
Ein Dauerbrenner. Ich könnte stundenlang über das immaterielle Vermögen berichten. Denn in meiner Dissertation habe ich mich jahrelang nur damit beschäftigt. Die Werttreiber der heutigen Zeit gewinnen immer mehr an Bedeutung. Vor allem durch die digitale Transformation.
Die Wiedereinführung der planmäßigen Abschreibung des Goodwills habe ich immer wieder schon befürwortet. Ich habe zwei Studien dazu gemacht, die auf die tickende Zeitbombe Goodwill hindeuten. In einer „normalen“ Wirtschaftskrise gefährlich, in einer Corona-Krise: Noch viel gefährlicher. Das Interesse an dem Thema ist seit März deutlich angestiegen.
Als die Existenz der Kunden bei Wirecard in dem Artikel der Financial Times im letzten Jahr bezweifelt wurde, galt meine Sorge sofort dem immateriellen Vermögen. Denn der Nachweis von Werten ist hier schwieriger als bei Maschinen und Co. Es wird immer wichtiger durch die digitale Transformation. In vielen Unternehmen sorgt das immaterielle für Werttreiber in den Unternehmen. Wenn hier die Glaubwürdigkeit leidet, hat dies massive Konsequenzen.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Ein Start-up entwickelt eine Software und sucht Investoren. Diese werden die bilanzierten Werte des immateriellen Vermögens viel mehr hinterfragen und misstrauisch sein. Denn wie der Bilanzskandal bei Steinhoff gezeigt hat: Heutzutage werden Bilanzen vor allem beim immateriellen Vermögen aufgepuscht. Mehr zur Bilanzfälschung 4.0 gibt es demnächst in meiner Serie „Bilanzskandale“.
Weitere Informationen:
- IDW-Stellungnahme:
- Finance-TV: Bilanzskandale, es gab viele Warnzeichen
- Finance-Magazin: Blog „Abgeschminkt“
- NWB Experten-Blog: Lehren aus Wirecard (Teil 1 ff.
- Buchempfehlung: Wertrelevanz von Forschungs- und Entwicklungskosten
- Bilanz in 5 Minuten (Teil 2): Warum viel Luft in den Bilanzen ist (YouTube)