Lehren aus Wirecard: Finanzexpertise für den Aufsichtsrat gewinnt an Bedeutung und reicht dennoch allein nicht aus

Der Gesetzesentwurf zur Stärkung der Finanzmarktintegrität vom 16. Dezember 2020 hat es in sich. Oder anders gesagt: Es zeigt die vielen Großbraustellen, die erst durch den Causa Wirecard angegangen werden. Auch Aufsichtsräte sind von den Änderungen betroffen. Künftig wird der Fokus auf Weiterbildungen von ihnen deutlich zunehmen. Lediglich 3,7 % der Aufsichtsräte bilden sich überhaupt fort. Dieses Thema wird sicherlich in der Zukunft auf den Hauptversammlungen eine größere Rolle spielen.

Doch nun zurück zu den Reformvorschlägen: Künftig soll es nicht nur einen Finanzexperten geben, der über Sachverstand auf den Gebieten der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügt; die Kompetenzen sollen auf . beiden Sachgebieten erforderlich sein und können entweder auf eine oder zwei Personen vereint sein. Die Ideen sind ein guter Anfang, reichen allerdings nicht aus.

Bedeutung der Financial Experts im Aufsichtsrat

Es ist verständlich, dass nicht jedes Aufsichtsratsmitglied über alle Kompetenzen verfügen kann. Doch sollte jeder Aufsichtsrat Interesse haben, diese auszubauen. Sofern beispielsweise die Sitzung mit der Besprechung des Jahresabschlusses ansteht, könnte der Financial Expert von seinen Kollegen befragt werden. Abgesehen davon ist eine Schulung zu Bilanzen sicherlich ein weiterer Vorteil. Ich habe vor kurzem eine Schulung zum Thema Bilanzfälschung für Aufsichtsräte gehalten: Das Interesse daran, sich weiterzubilden, ist vorhanden. Dieses ist sicherlich auch im Eigeninteresse jedes Aufsichtsrates.

Bei der Anfrage für ein neues Mandat ist es ratsam, sich auch die Jahresabschlüsse und Geschäftsberichte des Unternehmens anzuschauen, denn wie man am Beispiel von Wirecard sieht sollte die Haftung nicht unterschätzt werden. Durch den Fall Wirecard wurden viele aufgeschreckt, sich auch mit diesem – angeblich – trockenen Thema Bilanzen zu beschäftigen. Doch jedem sei gesagt: Ein Jahresabschluss kann viele Geschichten erzählen, man muss nur ein paar Grundregeln kennen.

Nur wenn entsprechendes Fachwissen vorhanden ist, können dem Vorstand auch entsprechende Fragen gestellt werden. Dies müssen nicht immer gleich gefälschte Bilanzen sein. Gerade bei den Abschlüssen für das Jahr 2020 ist mit zunehmender Bilanzkosmetik zu rechnen. Denn je schlechter die wirtschaftliche Lage, desto eher wird diese mit legalen Mitteln geschönt dargestellt. Die Rolle des Financial Experts ist auch daher sehr wichtig.

Gute Ideen, die noch ausbaufähig sind

Fachwissen ist das eine. Doch stellt sich die Frage: Können künftig nur noch Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater Financial Expert sein? Sicherlich nicht. Zur Frage der Qualifikation sollte es noch einige Kriterien geben, die nicht lediglich auf Berufsexamina basieren. Denn dieses Fachwissen kann schnell veralten, sofern die Berufstätigkeit nicht mehr ausgeübt wird oder das Examen vor viele Jahrzehnten abgelegt wurde. Da sich die Rechnungslegungsvorschriften dauernd ändern, sind regelmäßige Weiterbildungen unerlässlich.

Daher ist es meines Erachtens nicht ausreichend, allein auf die Qualifikation abzustellen. Regelmäßige Weiterbildungen sollten künftig mehr Bedeutung erhalten. Es ist davon auszugehen, dass die Investoren dies einfordern werden und ansonsten die Entlastung des Vorstandes und Aufsichtsrates verweigern.

Fachwissen und Weiterbildungen ist ein Aspekt: Doch muss ein Aufsichtsratsmitglied auch eine Persönlichkeit haben, entsprechend Kritik anzubringen oder Fragen zu stellen. Dies sind sicherlich Fähigkeiten, die nicht allein durch Weiterbildungen vermittelt werden können. Im Zweifelsfall muss man auch den Gegenwind der Aufsichtsratskollegen oder Nachfragen aus dem persönlichen Umfeld aushalten. Dies zeigt das Beispiel von Tina Kleingarn: Sie war weniger als zwei Jahre Aufsichtsrätin bei Wirecard und hatte ihr Mandat niedergelegt. Einige Zeit später ist Wirecard in den DAX aufgestiegen.

Fazit:

Es ist noch ein langer Weg, bis die Großbaustellen erfolgreich abgeschlossen sind. Doch auch bereits vor dem Bekanntwerden der fehlenden 1,9 Milliarden € bei Wirecard gab es erheblichen Reformbedarf. Der Fall Wirecard lehrt uns, diese schneller anzupacken.

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