Heute möchte ich Ihnen in aller Kürze eine BFH-Entscheidung vorstellen, die sowohl für AO- als auch für Lohnsteuer-Liebhaber einige Leckerbissen bereithält. Es geht darum, dass das Finanzamt eine einmal erteilte Anrufungsauskunft später nicht so einfach wieder aufheben kann. Und zum anderen ist das Urteil von Interesse, weil es aufzeigt, dass so genannte Langzeitvergütungsmodelle der Fünftel-Regelung unterliegen können.
Immer häufiger werden mit Führungskräften so genannte Langzeitvergütungsmodelle, neudeutsch Long Term Incentive Modelle (LTI) vereinbart. Bei diesen werden die Leistungen der Arbeitnehmer nicht nur für ein Jahr bewertet und entlohnt, sondern vielmehr über mehrere Jahre. Das Hessische FG hatte zu einem derartigen LTI entschieden, dass die Zahlungen des Arbeitgebers tarifbegünstigt sind, wenn die jeweilige zusammengeballte Zahlung durch wirtschaftlich vernünftige Gründe gerechtfertigt ist (Urteil vom 11.4.2019, 6 K 306/18). Der BFH hat diese Entscheidung bestätigt (BFH-Urteil vom 2.9.2021, VI R 19/19).
Der – etwas vereinfacht dargestellte – Sachverhalt: Es ging um eine Aktiengesellschaft, die bestimmten Führungskräften seit dem Jahr 2010 jährlich die Teilnahme an einem LTI anbot. Abhängig von der Entwicklung des Geschäftserfolges und der Kapitalkosten innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren im Vergleich zu den vorangegangenen vier Jahren erhalten die betreffenden Beschäftigten eine entsprechende Vergütung, und zwar nach Ablauf des so genannten ”Performancezeitraumes.“ Die Auszahlung selbst erfolgte dann zumeist, aber offenbar nicht immer jährlich. Der Arbeitgeber sieht in den Zahlungen des LTI eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit, die der Fünftel-Regelung unterliegt und bekam vor dem FG und nun auch vor dem BFH Recht.
Die Begründung: Die Zahlungen erfolgten zweckbestimmt für die Tätigkeit der jeweiligen Berechtigten in einem mehrjährigen Zeitraum, der im konkreten Fall vier Jahre umfasste. Die Einkünfte sind zudem „außerordentlich.“ Die Zusammenballung der Entlohnung ist schließlich durch wirtschaftlich vernünftige Gründe gerechtfertigt, denn die Klägerin reagierte mit der Einführung des LTI auf geänderte Rahmenbedingungen, die sich etwa aus dem „Deutschen Corporate Governance Kodex“ ergeben. Der Fünftel-Regelung steht es nicht entgegen, dass der Arbeitgeber die entsprechenden Vergütungen jährlich auszahlt (weitere Details hierzu in der NWB Online-Nachricht Einkommensteuer / Verfahrensrecht | Fünftel-Regelung für Langzeitmodelle).
Nun aber noch zu der verfahrensrechtlichen Seite: Die AG hatte vor der Durchführung des LTI eine Anrufungsauskunft gestellt und das Finanzamt bestätigte deren Rechtsauffassung. Sechs Jahre später hob das Finanzamt die Auskunft mit Wirkung für die Zukunft auf. Der Widerruf der Anrufungsauskunft sei ermessensgerecht, da der Inhalt der Auskunft materiell-rechtlich unzutreffend gewesen sei. Doch so einfach geht das nicht!
Eine Anrufungsauskunft gemäß § 42e EStG kann zwar entsprechend § 207 Abs. 2 AO mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben oder geändert werden. Die Aufhebung oder Änderung einer formell und materiell rechtmäßigen Anrufungsauskunft ist aber in der Regel unzulässig, wenn die Gründe für ihre Erteilung fortbestehen, der Steuerpflichtige sein Vertrauen bereits betätigt hat und über ein besonderes steuerliches Interesse an der Anrufungsauskunft verfügt – so der BFH. Für die Aufhebung oder Änderung einer rechtmäßigen Anrufungsauskunft muss deshalb ein besonderer, sachgerechter Anlass gegeben sein. Ein solcher Anlass kann u.a. vorliegen, wenn sich die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung ändert.
Fazit: Die Aufhebung oder Änderung einer Anrufungsauskunft ist ermessensfehlerhaft, wenn das Finanzamt zu Unrecht von deren Rechtswidrigkeit ausgeht.