Seit einigen Jahren bedient sich die Tourismusbranche eines gewaltigen Steuerschlupflochs im deutschen Umsatzsteuergesetz. Heute Mittag hat der EuGH dem Steuergesetzgeber und der Finanzverwaltung die kollektive Fehlleistung bei der Nichtbesteuerung von Reiseleistungen nun auch schriftlich bescheinigt. Dort zeigte man sich bis zuletzt uneinsichtig.
„Die Bundesrepublik Deutschland hat gegen ihre Verpflichtungen […] verstoßen […]“ – stets auf die gleiche Weise leitet der EuGH seine Tenorierung ein, wenn Deutschland in einem Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission unterlegen ist. Auch die heute veröffentliche Entscheidung zur Umsatzbesteuerung der Reiseleistungen beginnt wieder derart unverheißungsvoll. Dabei war genau diese Entscheidung überall erwartet worden. Naja fast überall.
Das Steuerschlupfloch ist im Ergebnis recht einfach skizziert: für grenzüberschreitende Reiseleistungen gilt auf EU-Ebene eine besondere Besteuerungsregelung. 2013 hatte der EuGH entschieden, dass diese Sonderregelung universelle Anwendung bei Reiseleistungen findet, etwa also sowohl im Verhältnis zu Privatkunden (B2C) wie auch zu Geschäftskunden/Zwischenhändlern (B2B). Dennoch gilt die Sonderbesteuerung für Reiseleistungen in Deutschland seit jeher nur im Verhältnis B2C. Das fordert die Steuerpflichtigen natürlich geradezu heraus, sich eine B2B-Strukur einzurichten, und sich an geeigneter Stelle einmal auf das deutsche und einmal auf das EU-Recht zu berufen. Unterm Strich steht dann (beinahe) eine Nullbesteuerung.
Warum der deutsche Gesetzgeber bislang keinen Anpassungsbedarf an die Rechtsprechung des EuGH sah, wird aus der heute veröffentlichten Entscheidung deutlich. Dort führt das Gericht aus (verkürzt):
Die Bundesrepublik Deutschland räumt ein, dass der Anwendungsbereich der Sonderregelung nach § 25 UStG zwar nicht in vollem Umfang mit den Urteilen des Gerichtshofs aus 2013 in Einklang stehe. Daraus könne aber nicht abgeleitet werden, dass sie gegen ihre Verpflichtungen aus der Mehrwertsteuerrichtlinie verstoßen habe.
Das muss man auch erstmal sacken lassen. Es zwar durchaus tradierte Praxis in Deutschland gegen den EuGH zu schießen. Aber dort vorzutragen, dass man die Rechtsauslegung des Gerichtshofs nicht für verbindlich hält – das erscheint mir nicht zur Nachahmung empfohlen. Auch im Streitfall ging es nicht gut aus: alle Praxisargumente von der Rechtsfolgenseite her wischte der EuGH kurzerhand bei Seite. Die wenigen dogmatischen Ansatzpunkte im deutschen Vortrag hielt der Gerichtshof nicht für substantiiert genug dargelegt. Diese „Technik“ wird ja bekanntlich auch gern vom BFH genutzt – da kann man 1.000 Seiten Rechtsargumentation einreichen und am Ende schreibt der BFH in einem Satz: „nicht hinreichend dargelegt“. Das ist so ein bisschen wie die Tatsachenentscheidung des Schiris: jeder im Stadion und vor dem Fernseher hat das Abseits gesehen – aber wenn der Unparteiische das Tor gibt, kann man nichts machen.
Der deutsche Gesetzgeber wird nun – zu Recht – die Umsatzbesteuerung von Reiseleistungen anpassen müssen. Wegen der daraus resultierenden Praxisprobleme sollte allerdings auch auf Unionsebene nochmal über eine Reform nachgedacht werden.
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