Die Kosten einer Kinderwunschbehandlung erreichen schnell mehrere tausend Euro und werden von den Krankenkassen in vielen Fällen nicht übernommen. Die Finanzämter stellen sich ihrerseits zuweilen auf den Standpunkt, dass dementsprechend auch keine außergewöhnliche Belastung vorliegen kann. Denn wenn die Versicherungen nicht zahlen, habe das „einen guten Grund“ und die Allgemeinheit, sprich der Steuerzahler, müsse sich an den Aufwendungen „nicht beteiligen.“
Doch so einfach dürfen es sich die Finanzbeamten nicht machen. Ähnlich wie sich die Gesellschaft zum Beispiel in ihrer Haltung zum Kinderwunsch gleichgeschlechtlicher Paare weiterentwickelt hat, haben auch die Finanzgerichte ihre Rechtsprechung fortentwickelt.
So hat der BFH bereits vor über zehn Jahren entschieden, dass unverheiratete empfängnisunfähige Frauen die Kosten für eine In-vitro-Fertilisation als außergewöhnliche Belastung absetzen dürfen. Allerdings gab es seinerzeit eine wichtige Einschränkung: Die Frau muss nämlich in einer festen Partnerschaft leben.
Mit dieser Einschränkung will sich das FG Münster nicht abfinden und hat soeben entschieden, dass die Kosten für die künstliche Befruchtung einer unverheirateten Frau auch dann zu außergewöhn-lichen Belastungen führen, wenn die Frau nicht in einer festen Beziehung lebt (Urteil vom 24.6.2020, 1 K 3722/18 E). In dem zugrundeliegenden Fall hatte eine Frau, die im Streitjahr 40 Jahre alt war, zu ihrem Beziehungsstatus keine Angaben gemacht. Das Finanzamt lehnte den Abzug der Kosten für die Kinderwunschbehandlung mit der Begründung ab, dass diese nur bei verheirateten oder in einer festen Beziehung lebenden Frauen abzugsfähig seien. Dem ist das FG Münster entgegengetreten.
Der Familienstand der Klägerin sei unerheblich, da die Behandlung in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen worden sei. Jedenfalls in dem Bundesland, in dem die Klägerin behandelt wurde, seien künstliche Befruchtungen alleinstehender Frauen nicht durch diese Richtlinien ausgeschlossen. Zudem werde die Zwangslage unfruchtbarer Frauen durch die Krankheit hervorgerufen, nicht durch eine Ehe oder eine Partnerschaft. Schließlich sei erwiesen, dass Kinder alleinerziehender Eltern in ihrer Entwicklung nicht beeinträchtigt seien.
Hinweis
Beim BFH liegen, soweit ich es überblicken kann, vier Verfahren zu der Frage vor, wann Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung abziehbar sind (VI R 34/19, VI R 35/19, VI R 36/19 und VI R 2/17). Mein Kollege Christoph Iser hat in seinem Blog-Beitrag „Künstliche Befruchtung: Steuerlich keine Frage des Alters“ bereits auf das Verfahren VI R 36/19 im Anschluss an das Urteil des FG München vom 8.10.2019 (6 K 1471/17) hingewiesen.
Danach gilt: Das Alter der Frau stellt keinen Umstand dar, der einer Berücksichtigung der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung entgegenstehen würde. Das FG Berlin-Brandenburg hatte diese jedoch anders gesehen (Urteil vom 18.10.2018, 9 K 11390/16).
Auch das FG Münster hat die Revision zugelassen. Ob diese eingelegt worden ist, ist mir allerdings noch nicht bekannt.