Ist ein Kind wegen seiner Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, wird den Eltern Kindergeld auch über das 25. Lebensjahr des Kindes hinaus gewährt. Voraussetzung ist, dass die Behinderung bereits vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist. Früher galt eine Altersgrenze von 27 Jahren. Menschen, deren Behinderung bereits im Kindesalter eingetreten ist, haben es im Arbeitsleben generell nicht leicht, doch vielen gelingt es durchaus, einen erfüllenden und auch vernünftig bezahlten Job zu erlangen.
Was bleibt, ist dennoch ein behinderungsbedingter Mehrbedarf, der von den Sozialträgern vielfach nicht oder zumindest nicht vollständig übernommen wird. Und so ist – für die Frage der Kindergeldberechtigung – zu prüfen, ob die Einkünfte und Bezüge nach Abzug der Aufwendungen eine ausreichende Leistungsfähigkeit des Kindes gewährleisten oder eben nicht.
Kürzlich hat der BFH dargelegt, wie die Fähigkeit zum Selbstunterhalt rechnerisch zu ermitteln ist, also welche Einkünfte und Bezüge dem Kind als eigene Mittel für seinen Unterhalt zuzurechnen sind und welche Beträge abgezogen werden dürfen (BFH-Urteil vom 27.10.2021, III R 19/19). Es würde den Rahmen dieses Blogs sprengen, das Urteil in Gänze mit allen Berechnungsmodalitäten vorzustellen. Ich möchte daher nur einige wesentliche Aspekte herausgreifen und ansonsten das Studium des Urteils empfehlen.
Der etwas verkürzt dargestellte Sachverhalt:
Das 27 Jahre alte Kind der Klägerin ist behindert und wohnt in einer stationären Einrichtung. Die monatlichen Kosten für den Lebensunterhalt und für die fachliche Hilfe werden vom Sozialträger im Rahmen der Eingliederungshilfe übernommen. Seit Juni 2015 ist das Kind bei der Stadt im allgemeinen Verwaltungsdienst beschäftigt und erhält für die Vollzeittätigkeit ein Bruttogehalt von etwa 2.250 Euro bzw. etwa 1.450 Euro netto. Der Sozialträger verlangt daraufhin vom Kind eine Kostenbeteiligung von rund 850 Euro. Die Mutter wird auf Zahlung eines Unterhaltsbeitrags in Höhe von rund 30 Euro in Anspruch genommen. Die Familienkasse hebt die Kindergeldfestsetzung ab Aufnahme der Vollzeittätigkeit auf. Das Kind habe sich finanziell selbst unterhalten können. Die ihm zur Verfügung stehenden Mittel deckten sowohl den Grundbedarf als auch den behinderungsbedingten Mehrbedarf. Die Mutter klagt hiergegen und möchte erreichen, dass weiterhin Kindergeld gezahlt wird. Klage und Revision bleiben aber ohne Erfolg.
Die Fähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt ist anhand eines Vergleichs zweier Bezugsgrößen zu prüfen, nämlich des gesamten existenziellen Lebensbedarfs des Kindes einerseits und seiner finanziellen Mittel andererseits. Ergibt sich daraus eine ausreichende Leistungsfähigkeit des Kindes, kann davon ausgegangen werden, dass den Eltern kein zusätzlicher Aufwand erwächst, der ihre steuerliche Leistungsfähigkeit mindert, und es ist gerechtfertigt, für behinderte Kinder kein Kindergeld oder keinen Kinderfreibetrag zu gewähren. Der gesamte Lebensbedarf eines behinderten Kindes setzt sich aus dem betragsmäßigen Grundbedarf, der an den steuerlichen Grundfreibetrag anknüpft, und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen.
Der behinderungsbedingte Mehrbedarf umfasst Aufwendungen, die gesunde Kinder nicht haben. Diese können einzeln nachgewiesen werden. Erbringt der Steuerpflichtige keinen Einzelnachweis, kann der maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag als Anhalt für den Mehrbedarf dienen. Bei der Ermittlung des behinderungsbedingten Mehrbedarfs, der bei einer teilstationären Unterbringung während der Zeit der häuslichen Pflege anfällt, ist von einer tatsächlichen Vermutung des Inhalts auszugehen, dass für die häusliche Pflege mindestens ein Mehrbedarf in Höhe des gezahlten Pflegegeldes entsteht. Ein behinderungsbedingter Betreuungsbedarf kann aber zum Beispiel auch dadurch nachgewiesen werden, dass das Kind Eingliederungshilfe erhält, welche gegebenenfalls um einen Verpflegungsanteil zu kürzen ist.
Allein aus dem Umstand, dass der Sozialleistungsträger den Kindergeldberechtigten auf Zahlung eines Unterhaltsbeitrags für das Kind in Anspruch nimmt, ist nicht abzuleiten, dass dieses zum Selbstunterhalt außerstande ist
Fazit:
Neben zahlreichen anderen Aspekten ist der Hinweis auf die Behinderten-Pauschbeträge von Interesse, denn diese sind seit 2021 verdoppelt worden. Im Einzelfall kann das durchaus relevant sein.
Weitere Informationen:
Lesen Sie hierzu auch unsere NWB Online-Nachricht: Kindergeld | Fähigkeit volljähriger Kinder mit Behinderung zum Selbstunterhalt