Kindergeld, Abgeordnetenpauschale: Neue Musterverfahren, was nun?

Zwei neue, grundsätzliche Musterverfahren sind bei den Finanzgerichten anhängig. Der Kinderfreibetrag für das Kj 2014 ist zu niedrig (FG München 8 K 2426/15) und ein Steuerbürger hätte gerne eine Betriebsausgabenpauschale entsprechend den Bestimmungen für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages (Nieders. FG 7 K 128/15). Wie sollte die Praxis auf diese beiden Musterverfahren reagieren?

Verfahrenstechnisch eindeutig ist der Fall der Betriebsausgaben- Werbungskostenpauschale entsprechend den Regelungen der Abgeordnetenpauschale. Der Einspruch ist nicht durch einen Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 Abs. 1 Nr.3 oder 4 AO). verwehrt. Ein entsprechender Einspruch ist aus Zweckmäßigkeitsgründen ruhen zu lassen (§ 363 Abs. 1 Satz 1 AO). Das FA würde ermessensfehlerhaft handeln, wenn der einzelne Steuerbürger in ein aufgezwungenes Musterverfahren gedrängt wird.

Immerhin ist es jetzt anerkannt, dass bei einem gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss der Steuerbürger ein Rechtschutzbedürfnis hat (BVerfG zur Erbschaftsteuer 1 BvL 21/12; zur Splittingtabelle bei gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften 2 BvR 906/06, 1981/06, 288/07). Eine pikante Note bekommt dieses Verfahren, weil in der Zwischenzeit sich der Gesetzgeber eine weitere Vergünstigung „gegönnt“ hat. Gem. 12 Abs. 2 Satz 2 AbgG ist die steuerfreie Kostenpauschale der Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten aller privater Haushalte jährlich anzupassen. Eine derartige Pauschalierung kennt bislang das Steuerrecht nicht. Es bedarf besonderer Gründe für diese Begünstigung.

Somit ist generell für alle im EStRecht installierten Pauschalierungen und Freibeträge eine angemessene Indexierung zu fordern. Mit anderen Worten, das EStRecht ist durch diese Regelung verfassungsrechtlich äußerst bedenklich. Im Endeffekt betrifft diese verfassungsrechtliche Fragestellung jeden Steuerbescheid.

Bei der Höhe des Kinderfreibetrages sind es ja nur die Personen, denen Kinder zugerechnet wird. Ist jetzt ein Einspruch möglich, notwendig oder ist alles über den Vorläufigkeitsvermerk im Steuerbescheid geregelt?

Der Bund der Steuerzahler (Pressemitteilung 14.10.15) vertraut dem Vorläufigkeitsvermerk und meint, dass ein Einspruch nicht notwendig ist. Er vertraut unausgesprochen der vom III. Senat des BFH inszenierten (fraglichen) Rechtsprechung (III R 39/08). Die Entscheidung erläutert, dass ein bereits in der Vergangenheit bestimmter Vorläufigkeitsvermerk zukünftige, anhängige Verfahren automatisch beinhaltet. Soweit man der Rechtsprechung mit „Zukunftsperspektive“ rechtssystematisch folgen kann, stellt sich die Frage wie weit dies geht? Ich befürchte, dass, wenn man dieser Aussage vertraut, die Finanzverwaltung später die Korrektur des Steuerbescheides mit dem Hinweis auf das Streitjahr verweigert.

Das Musterverfahren klärt die Voraussetzungen des Kj 2014 hinsichtlich der Bewertung und Höhe des Kinderfreibetrages. Da kann doch der von der Finanzverwaltung für andere Kalenderjahre bestimmte Vorläufigkeitsvermerk nicht herangezogen werden!? Erschwerend kommt hinzu, dass das neue Musterverfahren erst einmal beim FG anhängig ist. Ein Vorläufigkeitsvermerk ist zu diesem Verfahrenszeitpunkt gem. § 165 Abs. 1 AO nicht bestimmt. Er ist also rechtswidrig!. Selbst die Zwangsruhe tritt per Gesetz noch nicht ein (§ 363 Abs.2 Satz 2 AO). Gleichwohl ist das Einspruchsverfahren ruhend zu stellen gem. § 363 Abs.2 Satz 1 AO aus Zweckmäßigkeitsgründen.

Woher der Bund der Steuerzahler den Optimismus begründet, Rechtsschutz garantiert durch die Finanzverwaltung zu bekommen ohne Einspruch einzulegen, ist mir nicht klar. Mein Vertrauen in die Finanzverwaltung geht leider nicht so weit. Das zeigt jedenfalls meine Berufserfahrung. Eine Klarstellung seitens der Finanzverwaltung ist geboten mit dem Hinweis, dass ein Einspruch aus Zweckmäßigkeitsgründen ruht.

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