Wenn es nach einem Gastronomen aus Baden-Württemberg geht, dürfen Gaststättenumsätze und -gewinne aufgrund eines so genannten Vollzugsdefizits generell nicht besteuert werden. Allerdings ist er mit seinem Anliegen beim Fiskus, vor dem FG Baden-Württemberg und nun auch vor dem BFH gescheitert (BFH 16.9.2021, IV R 34/18).
Zum Hintergrund: Der Kläger, seines Zeichens Gastronom und auch Jurist, betreibt über eine OHG mehrere Gaststätten und Hotels, also bargeldintensive Betriebe. Er verlangt, dass seine Einnahmen zumindest teilweise von der Besteuerung auszunehmen sind. Er macht geltend, bezüglich der Erfassung von Bareinnahmen bei bargeldintensiven Betrieben liege ein strukturelles Vollzugsdefizit vor, das eine gleichmäßige Besteuerung aller Marktteilnehmer verhindere.
Bei offenen Ladenkassen, wie sie gerade im Bereich der Gastronomie häufig eingesetzt würden, habe die Finanzbehörde keine nennenswerten Möglichkeiten, den angegebenen Umsatz auf seinen Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Jedenfalls blieben die Prüfungsmöglichkeiten weit hinter dem zurück, was bei Registrierkassen möglich sei. Dadurch werde eine gleichmäßige Steuerfestsetzung bei allen Marktteilnehmern ausgeschlossen und er, der bereits elektronische Registrierkassen einsetze, werde in seinem Recht auf Gleichbehandlung verletzt. Der Gesetzgeber habe dies zu verantworten. Streitjahr war das Jahr 2015.
Ein strukturelles Vollzugsdefizit gab es im Steuerrecht schon einmal: Es betraf die Einkünfte aus Kapitalvermögen und Spekulationsgewinne. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führt die Nichtumsetzung von Besteuerungstatbeständen auf Erhebungsebene zu einer Nichtigkeit der Besteuerungsnorm (BVerfG 27.6.1991, 2 BvR 1493/89, BVerfG 9.3.2004, 2 BvL 17/02). Damals musste der Gesetzgeber handeln, um Kapitaleinkünfte auch weiterhin besteuern zu können. Ausfluss waren etwa eine Lockerung des Bankgeheimnisses sowie die später eingeführte Quellensteuer. Ein anderes Beispiel sind Trinkgelder. Da der Gesetzgeber die Höhe der vereinnahmten Trinkgelder von Angestellten nicht überprüfen kann, hat er diese insgesamt steuerfrei belassen.
Im bargeldintensiven Bereich sind Manipulationen von Kassensystemen oder sonstigen Aufzeichnungsgeräten leider ein Massenphänomen. Der Kläger weist darauf hin, dass Finanzbehörden ihrer Verpflichtung zur gleichmäßigen Erhebung der entstandenen Steueransprüche nicht nachkämen. Die vom Staat geduldete Massensteuerhinterziehung führe außerdem zu massiven Wettbewerbsverzerrungen, da die überwiegende Mehrzahl der Marktteilnehmer durch Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben einen erheblichen Wettbewerbsvorteil erlange. Wenn also ohnehin nicht alle Wettbewerber gleich besteuert werden könnten, dürfte praktisch niemand besteuert werden – so die Logik des Klägers.
Der BFH hingegen hat entschieden, dass im Jahr 2015 hinsichtlich der Erfassung von Bareinnahmen auch bei bargeldintensiven Betrieben mit offener Ladenkasse kein dem Gesetzgeber zuzurechnendes strukturelles Vollzugsdefizit bestand.
Nach Auffassung des BFH bestanden im Jahr 2015 zwar offensichtliche Probleme bei der Erhebung und Verifikation von Besteuerungsgrundlagen im Bereich der bargeldintensiven Geschäftsbetriebe wie z.B. der Gastronomie. Diese führten aber nicht zu einem strukturellen, dem Gesetzgeber zuzurechnenden Erhebungsmangel, der zur Verfassungswidrigkeit der Besteuerung führen könnte. Vielmehr bestand auch für solche Betriebe im Jahr 2015 eine Rechtslage, die auf die Durchsetzung der geltenden Steuergesetze abzielte. Auch für Betreiber einer offenen Ladenkasse bestand ein Entdeckungsrisiko bei Manipulationen. Die geltenden Erhebungsregeln waren jedenfalls nicht derart ineffektiv, dass ein Unterlassen weiterer Regelungen bezüglich der Besteuerung von Betrieben mit offener Ladenkasse im Bereich der Gastronomie dem Gesetzgeber als strukturelles Vollzugsdefizit angelastet werden könnte.
Prozessbeobachter sprachen davon, dass das Anliegen des Klägers zumindest vor dem Finanzgericht nicht ganz chancenlos war, denn die Richter hatten sich tatsächlich intensiv mit seinen Argumenten befasst (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.6.2018, 8 K 501/17). Zudem wurde die Revision zugelassen. Und auch der BFH hat es sich nicht leicht gemacht und sein Urteil durchaus umfassend begründet, auch wenn man nicht jedes Argument für richtig befindet. Beispielsweise heißt in der Begründung: „Das Fehlen von Personal, um die dem Grunde nach möglichen Verifikationen durchführen zu können, ist dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht zuzurechnen.“ Ja, wen denn dann? Die Heinzelmännchen? Sorry, aber mit solchen Argumenten kann ich nichts anfangen. Man darf nun gespannt sein, ob der unterlegene Kläger den Gang nach Karlsruhe antreten wird.