Muss ein Unternehmen klaglos politische Äußerungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK e.V.) hinnehmen oder kann es von der IHK, deren Pflichtmitglied es ist, bei Kompetenzüberschreitungen den Austritt aus dem Dachverband verlangen? Jetzt hat das OVG Münster richtungsweisend entschieden: Die IHK Nord Westfalen muss (derzeit) nicht aus dem DIHK austreten (OVG Münster v. 12.4.2019 – 16 A 1499/09).
Sachverhalt und Hintergrund
Die Klägerin ist als Unternehmen Pflichtmitglied der beklagten IHK. Sie hatte bemängelt, dass der DIHK e.V., in dem die IHK Mitglied ist, sich wiederholt außerhalb seiner Kompetenzen sowie einseitig zu Fragen der Umwelt- und Klimapolitik geäußert habe. Vor den Verwaltungsgerichten hatte dann zuletzt das BVerwG 2016 entschieden (BVerwG v. 23.3.2016 – 10 C 4.15), dass einem Unternehmen gegen „seine“ IHK ein Anspruch auf Austritt aus dem DIHK zustehen kann, wenn dieser sich mit politischen Stellungnahmen außerhalb des für IHKs geltenden Kompetenzrahmens (§ 1 Abs. 1 IHKG) bewegt. Dies erfordere aber über untypische „Ausreißer“ hinaus, dass die konkrete Wiederholungsgefahr derartiger Äußerungen außerhalb der Kompetenzgrenzen drohe. Bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr ist das OVG Münster im zweiten Rechtszug jetzt zu dem Ergebnis gelangt, dass aktuell kein Anspruch auf Austritt aus dem DIHK bestehe.
OVG Münster sieht wirksame Vorkehrungen gegen künftige Kompetenzverletzungen
Bislang war das einzelne Unternehmen bei politischen Äußerungen des DIHK außerhalb seiner Kompetenzen diesem gegenüber wehrlos. Denn nicht das einzelne Unternehmen, sondern nur die IHK, deren Pflichtmitglied das Unternehmen ist, ist (freiwilliges) Vereinsmitglied im DIHK e.V. Allerdings hat der DIHK e.V. auf die Kritik des BVerwG umgehend reagiert und im November 2016 auf Basis einer Satzungsänderung eine eigene Beschwerdeordnung erlassen. Diese eröffnet nicht nur den Mitglieds-IHKs, sondern auch deren Unternehmen die Möglichkeit, künftige Überschreitungen des Aufgabenkreises wirksam zu unterbinden. Nach einem vorgeschaltetem Beschwerdeverfahren können nunmehr auch die Pflichtmitglieder einer einzelnen IHK unmittelbar gegen den DIHK auf Unterlassung weiterer Kompetenzüberschreitungen klagen. Für derartige Klagen sei – so das OVG Münster – der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet.
Bedeutung und Bewertung der Entscheidung
Vom Urteil der Münsteraner Richter geht eine weitreichende Signalwirkung aus für rund vier Millionen gewerblicher Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistungsgewerbe, die bei einer oder mehreren der 79 deutschen IHKn kraft Gesetzes Mitglied sind.
Auch die Kompetenzen des DIHK als Dachverband reichen nicht weiter als die seiner IHK-Mitglieder. Deshalb muss sich ein Unternehmen auch vom DIHK nicht jedwede politische Äußerung der Organe gefallen lassen. Der Hinweis des OVG Münster, dass der DIHK auch „weiter in erheblichem Umfang seine Kompetenzgrenzen missachtet und kaum Einsicht in vergangene Aufgabenüberschreitungen hat erkennen lassen“, ist eine deutliche Botschaft.
Für die Handlungsfähigkeit und Funktionsfähigkeit der IHK-Organisation ist die Entscheidung allerdings dennoch eine gute Nachricht: Der DIHK kann weiterhin seine Aufgaben verlässlich erfüllen, als Sprachrohr der deutschen IHKs und ihren Mitgliedsunternehmen deren Interessen gegenüber der Politik wirksam zu vertreten. Schon 2017 hatte auch das BVerfG (12.7.2017 -1 BvR 2222/12 und 1 BvR 1106/13) betont, dass der Auftrag der IHKs zur Wahrnehmung des wirtschaftlichen Gesamtinteresses über die regionale Ebene hinausgeht, insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Europäisierung und Globalisierung der Wirtschaft.
Dies setzt – wie ich finde – eine starke wirtschaftspolitische Interessenvertretung in Berlin und Brüssel voraus.
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