Bereits in seinen „Bemerkungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes 2003“ warnte der Bundesrechnungshof vor drohenden Steuerausfällen aufgrund moderner Kassensysteme. Zuletzt hat die Diskussion um die Bekämpfung von Kassenmanipulationen deutlich an Fahrt aufgenommen. Insbesondere bargeldintensive Branchen wie Gastronomie und Einzelhandel stehen im Fokus. Derzeit liegt unter anderem ein Gesetzentwurf des BMF zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen vor. Die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft Mannheim fügt sich in diese Gesamtlage nahtlos ein.
Pressemitteilung: „Unternehmensgeldbußen wegen Steuerhinterziehungssoftware beantragt“
Hier der wesentliche Auszug der Pressemitteilung vom 22.6.2016 im Original:
„Die Staatsanwaltschaft hat gegen zwei Softwareunternehmen wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung die Festsetzung von Unternehmensgeldbußen von 850.000 € bzw. 150.000 € bei der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Mannheim beantragt.
Die Softwareunternehmen aus Mannheim und dem Raum Stuttgart sollen ein Warenwirtschaftssystem vertrieben haben. Durch die Nutzung eines speziellen „Softwareschlüssels“ des Programmes soll es einer unbekannten Anzahl von Händlern möglich gewesen sein, die erfassten Umsätze über ihre Kassensysteme niedriger als tatsächlich darzustellen. Hierdurch sollen diese in den Jahren 2007 bis 2010 in der Lage gewesen sein, gegenüber der Finanzverwaltung unzutreffende Angaben über ihre Einnahmen zu machen und somit Steuern (Einkommenssteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer) zu hinterziehen.
Die Verantwortlichen der Softwareunternehmen sollen zumindest das Bereitstellen dieser speziellen Programmfunktion durch Mitarbeiter des Unternehmens gebilligt haben. Der dadurch entstandene Steuerschaden konnte nicht näher beziffert werden. Ermittlungen gegen einzelne Händler laufen bei den örtlich zuständigen Strafverfolgungsbehörden.“
Bemerkungen
Pressemitteilungen von Staatsanwaltschaften in laufenden Verfahren sind ein zweischneidiges Schwert: einerseits soll damit das Informationsinteresse der Öffentlichkeit bedient werden, andererseits sind solche Darstellungen und Kommentierungen mit Blick auf bestehende Rechte von Betroffenen Grenzen unterworfen.
Dass die Staatsanwaltschaft Mannheim nun eine Pressemitteilung mit Bezug zu mutmaßlichen Kassenmanipulationen veröffentlicht, unterstreicht die wachsende Bedeutung dieses Themas. Die Meldung fügt sich – wie zu zeigen sein wird – nahtlos in die politische „Großwetterlage“ ein.
Rechtlicher Anknüpfungspunkt für die von der Staatsanwaltschaft Mannheim angestrebte Bebußung ist § 30 OWiG. Demnach kann eine Geldbuße von bis zu 10 Millionen EUR gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung verhängt werden, wenn eine deren Leitungspersonen (z. B. ein Vorstandmitglied) eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, durch die Pflichten des Unternehmens verletzt worden sind (1. Alternative) oder dieses bereichert wurde oder werden sollte (2. Alternative).
Diese sog. Verbandsgeldbuße kann als Ausprägung eines bereits existierenden, faktischen Unternehmensstrafrechts gesehen werden. Rechtlich existiert ein Unternehmensstrafrecht bis heute allerdings nicht.
Koalitionspartner macht Druck: Kampf gegen Steuerhinterziehung nur „halbherzig“
Ein Finanzexperte der SPD warf Bundesfinanzminister Schäuble kürzlich vor, er mache den Griechen ständig strenge Vorschriften, aber in Deutschland gehe er nur halbherzig gegen Steuerbetrug vor (vgl. www.focus.de unter „Weiterführende Informationen“). Gemeint sind insbesondere Steuerhinterziehungssachverhalte in bargeldintensiven Branchen, die über hard- und softwarebasierte Manipulationen bei elektronischen Kassensystemen ermöglicht werden. Der Schaden für den Fiskus reiche von 500 Millionen EUR bis zu 10 Milliarden EURO.
Lässt man diese – m.E. unseriöse – Schätzung beiseite, zeigt sich: Der Koalitionspartner erhöht aktuell noch einmal den Druck, konsequenter gegen Kassenmanipulationen vorzugehen.
Bundesrechnungshof warnte bereits 2003 vor „drohenden Steuerausfällen“
Bereits in seinen „Bemerkungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes 2003“ warnte der Bundesrechnungshof wie folgt vor drohenden Steuerausfällen aufgrund moderner Kassensysteme (vgl. unten unter „Weiterführende Informationen“):
„Die Finanzbehörden können falsche Angaben über eingenommene Bargelder bei Verwendung elektronsicher Kassen und Kassensysteme jüngster Bauart nicht mehr aufdecken. Bei solchen Systemen lassen sich eingegebene Daten sowie im System erzeugte Registrier- und Kontrolldaten ohne nachweisbare Spuren verändern. Somit drohen nicht abschätzbare Steuerausfälle. Abhilfe ist dringend geboten.“
Die Bemerkungen zeigen sogar, dass ein Finanzministerium eines Landes schon im März 2001 das Bundesfinanzministerium über Gefahren unterrichtete, die von den (damals) neuen Kassengeräten für eine zutreffende Besteuerung ausgehen sollen.
Es handelt sich also um kein neues Phänomen. Angesichts dieser zeitlichen Dimension kann man sich durchaus fragen, ob in diesem Bereich nicht über gewisse Zeiträume hinweg ein strukturelles Vollzugsdefizit bestand.
Referentenentwurf des BMF zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen
Aktuell liegt ein Referentenentwurf des BMF zur Schaffung eines „Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen“ auf dem Diskussionstisch (vgl. unten unter „Weiterführende Informationen“).
Drei Maßnahmen sind zentral (ausführlich hierzu Franke-Roericht/Roth, unten unter „Weiterführende Informationen“):
- umfassende Einzelaufzeichnungspflicht sowie technische Sicherheitseinrichtung bei elektronischen Aufzeichnungssystemen (§§ 146, 146a AO-E);
- Einführung einer Kassen-Nachschau (§ 146b AO-E);
- Bußgeld bis zu 25.000 EUR bei Verstößen (§ 379 AO-E).
Bemerkenswert:
Der Entwurf sieht keine allgemeine Registrierkassenpflicht vor. Dies wurde inzwischen von Seiten der SPD moniert. Ebenso nicht umgesetzt wurde eine Belegerteilungspflicht. Österreich ist hier fortschrittlicher: Mit dem Steuerreformgesetz 2015/2016 wurden unter anderem die rechtlichen Grundlagen für eine Registrierkassen- und Belegerteilungspflicht geschaffen. Es existieren allerdings Erleichterungen.
Man darf gespannt sein, ob sich im Zuge des Gesetzgebungsprozesses noch Verschärfungen ergeben. Auch die technische Lösung des Manipulationsschutzes scheint noch nicht abschließend diskutiert zu sein. So wurde bereits von Teilen der SPD die Frage aufgeworfen, weshalb nicht das INSIKA-System favorisiert wurde, das einst vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) finanziell gefördert und unter anderem in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie entwickelt und in der Praxis getestet wurde.
Weitere Dimensionen: GoBD, FG Rheinland-Pfalz zur Hinterzieherhaftung, BFH zum Zugriff auf Kassendaten
Im Zusammenhang mit möglichen Manipulationen an elektronischen Kassen und Kassensytemen sind weitere Dimensionen relevant, die hier nur auszugsweise erwähnt werden sollen:
- seit dem 1.1.2015 wendet die Finanzverwaltung die neuen „Grundsätze zur ordnungsgemäßen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD)“ an (BStBl. I 2014, 1450);
- Anfang des Jahres 2015 musste das FG Rheinland-Pfalz in einem AdV-Verfahren die Frage klären, ob der Geschäftsführer einer GmbH, die Kassensysteme nebst Manipulationssoftware herstellt und vertreibt, für die Steuern haftet (§ 71 AO), die ein Kunde (Eiscafé-Betreiber der ein solches System inklusive der Software einsetzte, hinterzogen hat;
- Ende 2014 hatte der BFH über den Zugriff auf Kassendaten einer Apotheke anlässlich einer Außenprüfung zu befinden.
Diese Entwicklungen habe ich in meinem „Jahresrückblick Steuerstrafrecht (Teil 2/3)“ näher beleuchtet (siehe Link unter „Weiterführende Informationen“).
Weiterführende Informationen
Pressemitteilung der StA Mannheim vom 22.6.2016
„Wie sich Schäuble mit Billig-Tricks betrügen lässt“, Beitrag auf focus.de vom 19.6.2016
BMF-Referentenentwurf vom 18.3.2016
Franke-Roericht/Roth, Einzelaufzeichnungspflicht, technischer Manipulationsschutz und Kassen-Nachschau – Der Referentenentwurf des BMF zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen, Stbg 2016, 247-253
Jahresrückblick Steuerstrafrecht (Teil 2/3), NWB Experten-Blog, 29.2.2016