Investitionsoffensive in Deutschland: Künftige Bundesregierung einigt sich über Finanzpaket für Verteidigung und Infrastruktur

Die künftige Bundesregierung hat sich im Rahmen ihrer Sondierungsgespräche auf ein 500-Mrd. Euro-Sondervermögen für Infrastruktur und eine Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben geeinigt; hierüber soll bereits in der kommenden Woche der (alte) Bundestag entscheiden. Doch das Vorhaben hat finanzpolitische und verfassungsrechtliche Risiken.

Hintergrund

Ein Bündnispartner, der sich von seinen europäischen Verbündeten abwendet und eine Aufstockung eigener Verteidigungsausgaben einfordert, ein Investitionsdefizit bei Straße, Schiene und Bildung und eine angeschlagene Wirtschaft mit geringen Wachstumsaussichten und dringend erforderlichen Impulsen: Überall warten auf die künftige Bundesregierung gewaltige Aufgaben mit einem immensen Finanzierungsbedarf. Während der Sondierungsgespräche hat die künftige Bundesregierung schon mal einen Blick in den finanzpolitischen Abgrund des Bundeshaushalts geworfen: Bis 2028 könnten im Bundeshaushalt bis zu 130 Mrd. Euro fehlen, hat der amtierende Bundesfinanzminister auf Basis der bisherigen Haushaltsüberlegungen für 2025 vorgerechnet. Noch im Wahlkampf hatte der mutmaßliche künftige Bundeskanzler Merz hoch und heilig versprochen, dass er an der grundgesetzlichen Schuldenregel (Art. 115 GG) nicht rütteln werde.

Jetzt ist nach der Einigung von Union und SPD geplant, dass die Ausgaben für Verteidigung künftig ab einem Prozent des BIP nicht mehr relevant für die Schuldenbremse sind; für Verteidigungsausgaben ausgenommen von der Schuldenbremse wäre demnach alles über einem Prozent des Bruttoinlandprodukts, also alles über 44 Mrd. Euro. Das würde viel Spielraum für notwendige Verteidigungsausgaben bieten. Ferner soll ein 500 Mrd. Euro-Sondervermögen für Infrastruktur für die kommenden zehn Jahre geschaffen werden, 100 Mrd. Euro sollen davon die Länder bekommen. Die Schuldenbremse soll zudem so reformiert werden, dass die Länder künftig auch außerhalb einer Notlage Kredite aufnehmen könnten. Bisher schreibt die Schuldenbremse den Ländern einen ausgeglichenen Haushalt vor.

Was ist ein Sondervermögen und wie wird es gebildet?

Zu erwartende Einnahmen und Ausgaben des Bundes sind grundsätzlich im Bundeshaushalt zu veranschlagen. Eine Ausnahme bilden Sondervermögen. Sie werden beispielsweise eingerichtet, um umfangreiche und mehrjährige Maßnahmen für einen ganz bestimmten Zweck zu finanzieren. Sondervermögen werden per Gesetz errichtet und müssen dieselben Anforderungen erfüllen wie der Bundeshaushalt. Sie werden wirtschaftlich getrennt vom übrigen Bundesvermögen verwaltet und abgerechnet. Das Geld stammt aus dem normalen Haushalt oder aus eigenen Einnahmen. Sondervermögen dürfen auch Kredite aufnehmen, wenn das Gesetz es vorsieht. Das ist beim Sondervermögen für die Bundeswehr, das 2022 in Höhe von 100 Mrd. Euro gebildet worden ist, der Fall (Art. 87 Abs.1 a GG).

Nach Angaben des Bundesrechnungshofes (BRH) gab es 2023 29 Sondervermögen auf Bundesebene, ihr finanzieller Umfang beträgt insgesamt rund 869 Mrd. Euro. Der weit überwiegende Teil ist kreditfinanziert. Das Verschuldungspotenzial der Sondervermögen lag Ende 2022 bei insgesamt rund 522 Mrd. Euro. Das ist das rund Fünffache der im Finanzplanungszeitraum 2023 bis 2027 ausgewiesenen Kreditaufnahme. Sondervermögen sind also entweder ausgelagerte Schuldentöpfe oder sie hängen finanziell am „Tropf“ des kreditfinanzierten Bundeshaushaltes: Deshalb ist es richtiger von „Sonderschulden“ als von „Sondervermögen“ zu sprechen.

Das Grundgesetz sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, durch gesondertes Bundesgesetz mit Zwei-Drittel-Mehrheit Sondervermögen einzurichten (Art. 110 Abs. 1 GG). Wegen ihrer Ausgliederung aus dem Haushaltsplan stellen Sondervermögen aber eine Ausnahme von den verfassungsrechtlich bestimmten Haushaltsgrundsätzen der Vollständigkeit und Einheit des Haushaltsplans dar, die vor allem das Budgetrecht des Parlamentes schützen. Da Kernaufgaben des Staates aus dem Kernhaushalt finanziert werden sollen, ist an die Bildung von Sondervermögen ein strenger Maßstab anzulegen.

Finanzpolitische Risiken

Sondervermögen und die Aufstockung der nicht der Schuldenbremse unterliegenden Verteidigungsausgaben haben allerdings finanzpolitische Risiken: Die budgetflüchtigen Ausgaben und ihre ebenfalls budgetflüchtige Kreditfinanzierung gefährden das parlamentarische Budgetrecht und die Wirksamkeit der Schuldenregel. Das Parlament als Hüter des Budgetrechts – aber auch die Öffentlichkeit – drohen den Überblick und damit auch die Kontrolle über die Verschuldung zu verlieren. Sondervermögen verzerren die vor allem auf den Bundeshaushalt fokussierte Wahrnehmung von Parlament und Öffentlichkeit vom tatsächlichen Umfang der Bundesausgaben und schaffen somit Intransparenz über den Verschuldungsstand. Kreditfinanzierte Sondervermögen, die durch Gesetz zu bilden sind (Art.115 Abs.1 GG), müssen nach Maßgabe eines Tilgungsplanes aus dem normalen Bundeshaushalt getilgt werden, die hierfür erforderlichen Einnahmen müssen zunächst erwirtschaftet werden.

Verfassungsrechtliche Risiken

Für ein Abweichen von der Schuldenbremse (Art. 115 Abs.2 GG), die Bildung eines Sondervermögens für Infrastrukturmaßnahmen und die Aufstockung von Verteidigungsausgaben (Art.87a GG) ist ein Bundesgesetz erforderlich, das mit Zwei-Drittel-Mehrheit von Bundestag und Bundesrat zu beschließen ist (Art. 79 Abs.2 GG). Da die künftige Regierung diese erforderliche Mehrheit (422 Stimmen) im (neuen) Bundestag nicht hat, ist sie auf die Zustimmung aus dem Oppositionslager angewiesen.

Da im neu konstituierten Bundestag eine Zwei-Drittel-Mehrheit nur mit Linken oder AfD erzielbar wäre, also praktisch ausgeschlossen ist, erwägt die künftige Bundesregierung, das vorgeschlagene Finanzpaket mit Zustimmung von Teilen der Grünen und/oder der FDP noch im „alten Bundestag“ beschließen zu lassen. Jenseits der der Frage, ob es politisch opportun ist, sich aus Unionssicht von dem Wahlkampfversprechen einer unangetasteten Schuldenbremse zu verabschieden, stellt sich die Frage, ob das beabsichtigte Vorgehen verfassungsrechtlich überhaupt zulässig ist; die Fraktion der Linken hat schon mit einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung durch das BVerfG „gedroht“.

Einen Fall wie den vorliegenden hat es in der bisherigen Tradition des Übergangs eines alten auf den neuen Bundestag bislang nicht gegeben. Im GG gibt es keine ausdrückliche Regelung über die Kompetenzverteilung während der Zeit zwischen Neuwahl und Konstituierung. Art. 39 Abs. 1 S. 2 GG bestimmt nur, dass die Wahlperiode des alten Bundestages erst mit dem Zusammentritt des neuen endet. Daraus wird gefolgert, dass der alte Bundestag bis zur Konstituierung des neuen Bundestages in seinen Handlungsmöglichkeiten nicht beschränkt ist,  er also weiterhin formell wirksam Gesetze verabschieden kann. Art. 39 Abs. 2 GG begrenzt zudem den Zeitraum zwischen Wahl und Konstituierung auf maximal 30 Tage, der neue Bundestag muss spätestens am 25.3.2025 zusammentreten.

Alle Gewalt geht vom Volke aus, die den neuen Bundestag in seiner Zusammensetzung durch Wahlen legitimiert (Art. 20 Abs.2 S.2 GG). Hieraus wird unter Verfassungsjuristen gefolgert, dass angesichts des im Wahlergebnis zum Ausdruck kommenden Willen des Wahlvolkes nur noch eine eingeschränkte Legitimität des Alt-Bundestages ergibt. Es stellt sich deshalb die verfassungsrechtliche Frage, ob der Alt-Bundestag die künftige Arbeit des neuen Bundestages mit einer derart weitreichenden finanzpolitischen Frage hinsichtlich der Bildung eines neuen Sondervermögens und einer Aufstockung des Verteidigungsetats außerhalb der Schuldenbremse präjudizieren darf, also über ein über eine Wahlperiode hinausreichendes bindendes Gesetz beschließen darf, das zudem eine Zwei-Drittel-Mehrheit erfordert.

Scheitert der Unions-/SPD-Plan in der kommenden Woche, droht der künftigen Regierung ein gewaltiger Flurschaden, noch bevor sie Koalitionsgespräche fortgesetzt oder gar die Regierungsarbeit aufgenommen hat. Denn wo finanziell kein Spielraum ist, hat der Kaiser sein Recht verloren ….

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