Internationale Entwicklungen zur Fortführungsprämisse (Going Concern)

Sowohl nach den handelsrechtlichen Regelungen als auch nach den IFRS ist der Rechnungslegung die Fortführung der Unternehmenstätigkeit solange zugrunde zu legen, solange dem keine Fortführungshindernisse entgegenstehen (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB, IAS 1.25 f.). Unter anderem öffentlichkeitswirksame Insolvenzen wie „Wirecard“ haben IAASB und Accountancy Europe veranlasst, über die Fortführungsannahme in Rechnungslegung und Abschlussprüfung nachzudenken.

Ansatzpunkt der Überlegungen ist die Erwartungslücke zwischen den Erwartungen der Abschlussadressaten und den Anforderungen an Rechnungslegung und Abschlussprüfung. Die angedachten Maßnahmen sollen ggf. der Wissenslücke bei den Adressaten, einer etwaigen Leistungslücke der Abschlussprüfung und ggf. einer Entwicklungslücke der Prüfung im Hinblick auf neue Anforderungen entgegenwirken.

Das IAASB sieht die Aufgaben des Abschlussprüfers im Zusammenhang mit der Fortführungsprämisse

  • in der Gewinnung hinreichender Prüfungsnachweise für die Angemessenheit der vom Management zu verantwortenden Fortführungsannahme, die der Abschlusserstellung zugrunde gelegt wurde,
  • in der Feststellung des Vorliegens einer wesentlichen Unsicherheit im Hinblick auf die Unternehmensfortführung auf der Grundlage der erhaltenen Prüfungsnachweise und
  • in der ISA-konformen Berichterstattung.

Wegen des Zukunftsbezugs der Fortführbarkeitsanalyse kann das Fehlen eines Hinweises auf eine wesentliche Unsicherheit über die Fortführbarkeit des geprüften Unternehmens im Bestätigungsvermerk nicht als Garantie für die Fortführung des Unternehmens verstanden werden. Vom Status quo ausgehend werden vom IAASB Diskussionsfragen für künftige Modifikationen im Zusammenhang mit der Beurteilung der Fortführungsprämisse aufgeworfen:

  • Länge des Prognosehorizonts ggf. über 12 Monate gerechnet ab dem Abschlussstichtag hinaus, Berichterstattung über Resilienzkonzepte des Unternehmens zur Sicherung der Lebensfähigkeit und Solvabilität bzw. Kapitaldienstfähigkeit und ggf. eine Aussage des Prüfers im Bestätigungsvermerk, ob etwas hinzuzufügen oder auf bestimmte Aspekte besonders hinzuweisen ist,
  • weitere Klärung des Begriffs der wesentlichen Unsicherheit über die Fortführbarkeit des Unternehmens (bestandsgefährdende Risiken),
  • weitere Hilfen im Hinblick auf die berufsübliche kritische Grundhaltung des Prüfers,
  • weitere Informationen im Bestätigungsvermerk und Kommunikation mit dem Aufsichtsorgan des Unternehmens,
  • eine vereinfachte Vorgehensweise bei der Prüfung wenig komplexer Sachverhalte und Verknüpfung mit anderen Prüfungsbereichen (z.B. Risikoeinschätzung).

Accountancy Europe schlägt nicht nur Diskussionspunkte vor, sondern macht konkrete Vorschläge im Hinblick auf die Fortführungsannahme, bspw.:

  • Die Erhöhung der Anforderungen an das berichtende Unternehmen, wie die Erhöhung der geforderten Arbeitsanstrengungen (Work Effort) der berichtenden Unternehmen bei der Beurteilung der Unternehmensfortführung unter Einbindung eines integrierten finanziellen Berichtssysteme und ausgebauter Prognoseverfahren. Dabei sollen ggf. auch Szenarioanalysen, Stresstests bzw. inverse Stresstests („Reverse Stress Test“) durchgeführt werden, um die Validität der Going-Concern-Beurteilung zu überprüfen und den Liquiditätsspielraum und mögliche Auswirkungen auf die Einhaltung von Covenants aufzuzeigen.
  • Weiterhin wird eine Berichterstattung des Unternehmens über das Risikomanagementsystem und dessen Prüfung sowie eine obligatorische Angabepflicht für die Grundlage der Einschätzung über die Unternehmensfortführung und über Fortführungsrisiken empfohlen.

Der Abschlussprüfer soll ebenfalls Informationen bereitstellen:

  • Eine Erklärung zur Einschätzung der Fortführungsannahme des Managements, auch wenn keine Risiken bzw. wesentlichen Unsicherheiten oder Probleme bei der Beurteilung des Managements festgestellt wurden,
  • eine Feststellung zur Aussage des Managements, dass keine wesentliche Unsicherheit vorliegt.

Weitere Vorschläge zielen bspw. auf:

  • einen obligatorischen Prüfungsausschuss,
  • die Klärung des Prognosezeitraums,
  • Erhöhung der Anforderungen an die Abschlussprüfung, etwa bei der Auswahl der Risikobewertungsverfahren und der Intensität der Auseinandersetzung mit den Einschätzungen des Unternehmens zur Fortführbarkeit,
  • weitere Erläuterungen im Bestätigungsvermerk,
  • Verbesserung der Kompetenzen des Prüfers insbesondere in den Bereichen der Analyse von Cashflows, Liquidität, Finanzierung, (Worst-Case-) Szenarioanalyse und inverse Stresstest und ggf. Einbeziehung von (Restrukturierungs-)Experten ein,
  • Klärung der Meldung durch den Abschlussprüfer nach Art. 12 Abs. 1 lit. b) der Abschlussprüfungsrichtlinie,
  • eine längerfristige Beurteilung der Überlebensfähigkeit von Unternehmen,
  • die Berücksichtigung nichtfinanzieller Faktoren bei der Beurteilung der längerfristigen Überlebensfähigkeit.

Sowohl die Diskussionspunkte des IAASB als auch die Vorschläge von Accountancy Europe führen zur deutlichen Ausweitung der Unternehmens- und Prüferpflichten. Für eine sachgerechte Beurteilung ist eine sorgfältige Kosten-Nutzen-Abwägung notwendig. Eine schnelle populistische Antwort auf jüngere Insolvenzen und „Bilanzskandale“ wird der Tragweite der Probleme nicht gerecht. Für eine ausführlichere Darstellung und Bewertung verweise ich auf meinen u.a. Beitrag in der WP Praxis.

Weitere Informationen:

Mujkanovic, Die Fortführungsprämisse in Rechnungslegung und Abschlussprüfung – Neuere Entwicklungen auf internationaler Ebene, WP Praxis 4/2021, S. 116-122 (für Abonnenten kostenfrei)


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