Impfpflicht ohne Mehrheit – aber auch ohne Folgen?

Im Bundestag war am 7.4.2022 keiner der eingebrachten Gesetzesanträge zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht mehrheitsfähig. Eine Bestandsaufnahme und Bewertung der Folgen.

Hintergrund

Die neue Ampel-Koalition hat Ende 2021 eine COVID-19-Impfpflicht auf den Weg gebracht, allerdings nur „berufsbezogen“ in bestimmten Einrichtungen und Unternehmen (z.B. Alten- und Pflegeheimen),. Eine Ausweitung bleibt zu prüfen“, hieß es damals. Angesichts weiter steigender Infektionszahlen und einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems von Krankenhäusern bis hin zu Gesundheitsämtern wurde seitdem eine über die einrichtungsbezogene (sektorale) Impfpflicht hinausgehende allgemeine Impfpflicht streitig diskutiert: Zwischen Medizinern und Juristen gleichermaßen. Aus der vom Bundeskanzler bis „Mitte März 2022“ angekündigten allgemeinen Impfpflicht ist nichts geworden, ja nicht mal eine Regierungsvorlage für ein entsprechendes Gesetz hat die Ampel-Koalition hinbekommen.

Sämtliche Gesetzesvorlagen gescheitert

Verschiedene Initiativen zum Thema Corona-Impfpflicht, die von völliger Ablehnung bis zu einer allgemeinen Impfpflicht für alle über 18-Jährigen reichen, sind am 7.4.2022 im Bundestag ohne die erforderliche Abstimmungsmehrheit geblieben, alle Vorlagen sind „durchgefallen“, ein bemerkenswerter Vorgang. Die meisten Stimmen konnte auf die Beschlussempfehlung des federführenden Gesundheitsausschusses (BT-Drs. 20/1353) der Antrag auf sich vereinen, der eine verpflichtende Impfberatung und Einführung einer altersbezogenen Impfpflicht ab 60 Jahren ab dem 15.10.2022 vorsah (BT-Drs. 20/899 und 20/954); aber auch hier gab es keine Mehrheit. Damit haben sich letztlich die Parlamentarier faktisch durchgesetzt, die gegen eine Impfpflicht sind.

Welche Auswirkungen auf das Corona-Geschehen sind zu erwarten?

Feststeht, dass das Corona-Virus – egal in welcher Variante – noch längst nicht zu den Akten gelegt werden kann. Experten rechnen mit einer neuen Welle spätestens im Herbst. Feststeht, dass das Gesundheitssystem nur über eine gute Immunisierung der Bevölkerung vor Überlastung geschützt werden kann. Ziel der Politik muss deshalb sein, Vorsorge zu treffen, damit es keinen dritten Corona-Winter gibt mit weitreichenden Freiheitseinschränkungen bis hin zu einem abermaligen Lockdown.

Diese wichtige Aufgabe der Zukunftssicherung haben Regierung und Parlament jetzt versäumt rechtzeitig zu lösen, das Risiko für den Herbst 2022 mit all seinen Konsequenzen ist beträchtlich:

  • 90 Prozent der pandemiebedingten Sterbefälle entfallen auf die Altersgruppe der ab 60 Jahren, insofern hätte wenigstens der Kompromissvorschlag einer Impfpflicht ab 60 Jahren das Risiko weiterer Corona-Todesfälle reduzieren können. Wahr ist aber auch, dass die Impfquote in der Altersgruppe über 60 Jahre schon bislang am höchsten, die Sieben-Tage-Inzidenz hingegen am niedrigsten. Umgekehrt ist die Inzidenzrate in der Altersgruppe bis 14 Jahre am höchsten, ja selbst in der Altersgruppe von 35 bis 59 Jahre höher als die Gesamtinzidenz, während dort die Impfquote gleichzeitig deutlich niedriger ist. Eine allgemeine Impfpflicht hätte also grade dort am ehesten geholfen, wo die Inzidenzrisiken am höchsten, die Impfquote aber am niedrigsten ist.
  • Das Scheitern einer allgemeinen Impfpflicht hat das weitere absurde Ergebnis zur Folge, dass die Pandemielast nur von denen getragen werden muss, die ihm ohnehin geschwächten Gesundheitssystem Corona-Erkrankte pflegen müssen, und zwar geimpft. Es ist kaum mehr vermittelbar, dass das Personal in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen geimpft sein muss, Patienten und Besucher hingegen nicht. Insofern drängt sich jetzt die Frage auf, ob die einrichtungsbezogene Impfpflicht für das Personal nicht wieder aufgegeben werden muss. Denn die einrichtungsbezogene Impfpflicht war ja nur als „Vorstufe“ einer allgemeinen Impfpflicht gedacht.

Fazit:

Das Scheitern der allgemeinen Impfpflicht als Konsequenz einer Einordnung als „ethische Frage ohne Fraktionszwang“ ist nicht nur eine schwarze Stunde des Bundestages, ein Beleg für das Versagen parlamentarischer Verantwortungsübernahme, sondern ist auch ein Versagen der Bundesregierung, die bislang keinen Mut für eine mehrheitsfähige Gesetzesvorlage der Ampel-Koalition in einer Kernfrage der Gesundheitspolitik hat. Das Prinzip der Freiwilligkeit beim Impfschutz klingt angesichts von Freiheitsrechten zwar gut, funktioniert beim Impfschutz nur eben leider nicht.

Eine generelle Impfpflicht wäre nicht nur eine gesamtgesellschaftliche Solidarleistung und ein Verantwortungsbekenntnis zur Überwindung der Pandemie, sondern wäre auch der beste Schutz vor einem abermaligen Rückfall in Beschränkungsmaßnahmen im Herbst/Winter 2022/23, die niemand mehr will.

Quellen

 

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