Höhe der Finanzamtszinsen – BMF erlässt neues Anwendungsschreiben zu Aussetzungszinsen

In einem neuen Anwendungsschreiben äußert sich das BMF zur Aussetzung der Vollziehung (AdV) wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Verzinsung nach § 233 AO in Verbindung mit § 238 Abs. 1 S. 1 AO (BMF-Schreiben v. 27.11.2019 – IV A 3 – S 0465/19/10004 :001); AdV ist danach auf Antrag bereits für Zinszeiträume ab 1.1.2012 zu gewähren.

Hintergrund

Nach § 238 Abs.1 S. 1 AO beträgt die Zinshöhe 0,5 Prozent pro Monat, also sechs Prozent im Jahr. Dies betrifft etwa Nachzahlungs-, Stundungs-, Verspätungs-, aber auch Erstattungszinsen auf Steuererstattungsansprüche. Der Zinssatz von sechs Prozent/Jahr ist seit langem heftig umstritten, weil er nicht annähernd marktgerecht das derzeitige Zinsniveau wiederspiegelt. Beim BVerfG ist seit Jahren eine Verfassungsbeschwerde wegen der Zinshöhe für den VZ anhängig. Der BFH hat im April 2018 (25.4.2018 – IX B 21/18) ernsthafte Zweifel an der gesetzlichen Zinshöhe geäußert und deshalb im Streitfalle Aussetzung der Vollziehung gewährt.

Hierauf hat das BMF mit mehreren Anwendungsschreiben reagiert (BMF-Schreiben vom 14.12.2018 – IV A 3 – S 0465/18/10005-01 – und mit BMF-Schreiben vom 2.5.2019 – IV A 3 – S 0338/18/10002).

Inhalt des neuen BMF-Schreibens

Das BMF-Schreiben bezieht sich auf den Beschluss des BFH vom 4.7.2019, VIII B 128/18 und bestimmt entsprechend, dass die Vollziehung eines Bescheides über die Festsetzung von Aussetzungszinsen für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2012 und nicht erst auf Antrag des Zinsschuldners in Einspruchsfällen für Verzinsfälle ab 1.4.2012 auszusetzen ist. Dieses BMF-Schreiben ändert deshalb die früheren BMF-Schreiben vom 14.12.2018 und 2.5.2019, die Einzelheiten des Aussetzungsverfahrens (AdV) wegen ernsthafter verfassungsrechtlicher Zweifel an der Zinshöhe nach §§ 233, 238 Abs. 1 S. 1 AO regeln.

Der BFH hatte mit seinen Entscheidungen vom 25.4.2018 – IX B 21/18, 3.9.2018 – VIII B 15/18 und 4.7.2019 – VIII B 128/18 abermals bekräftigt, dass er im Aussetzungsverfahren schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel an der Zinshöhe nach §§ 233, 238 AO hat – und zwar bei Aussetzungszinsen für alle Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019. Diesen (vorverlegten) Zeitpunkt vollzieht das BMF in seinem neuen Schreiben nun nach. Wichtig: Der BFH hat am 4.7.2019 nochmals bestätigt, dass die Zinsfestsetzung für den gesamten Zinszeitraum in vollem Umfang von der Vollziehung auszusetzen ist und nicht bloß hinsichtlich eines (mutmaßlich noch marktgerechten) Zinssatzes von mehr als 3 Prozent.

Begründung: Wegen des Grundsatzes der Gesetzesbindung darf auch ein Gericht keinen anderen als den im Gesetz (§ 238 Abs. 1 S. 1 AO) festgesetzten Zins zugrunde legen – denn die Festlegung eines neuen („marktgerechten“) Zinses ist Sache des Gesetzgebers.

Praxishinweis

Betroffene Steuerpflichtige sollten sich bei entsprechender Zinsfestsetzung durch das Finanzamt auf das BMF-Schreiben und die AdV für Zinszahlungszeiträume ab 1.1.2012 berufen. Dies gilt nicht nur für Aussetzungszinsen, sondern etwa auch für Nachzahlungszinsen. Wenig Aussicht auf Erfolg hat allerdings für Verzinsungszeiträume vor 2012 für einen marktgerechten Zinssatz zu kämpfen: Denn der BFH hat klipp und klar geurteilt, dass er weder für die Zeit von April 1998 bis April 2005 (BFH v. 20.4.2011 – I R 80/10) noch für Zinszeiträume von November 2004 bis März 2011 (BFH v. 14. 4.2015 – IX R 5/14) noch für Zinszeiträume von Juni 2008 bis Dezember 2011 () verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Zinshöhe nach § 238 Abs. 1 S. 1 AO hat.

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