Historisches Verfahren – Österreich verklagt Deutschland wegen Vertragsauslegung (Teil 2)

Das ist für uns alle Neuland – So könnte man das beim Europäischen Gerichtshof anhängige Verfahren Rechtssache C-648/15 beschreiben. Denn zum ersten Mal überhaupt entscheidet der EuGH über eine Streitigkeit zwischen zwei Mitgliedstaaten  aufgrund eines Schiedsvertrags. Wer zieht im Zwist der Bundesrepubliken den Kürzeren?

Inhaltlich erscheint die Streitfrage – anderes als in verfahrensrechtlicher Hinsicht – nicht übermäßig interessant. Abstrakt liegt der Streitfall wie folgt: Eine österreichische Bank erhält Zinsen auf Genussscheine aus Deutschland. Vereinbart ist eine Festverzinsung, die jedoch bei Bilanzverlust des Schuldners bis auf null sinken kann. Dann besteht in späteren Gewinnjahren allerdings ein Nachzahlungsanspruch. Rechtlich entscheidend ist nun, ob man diese Zinsen einfach als Zinsen oder als Zinsen auf Forderungen mit Gewinnbeteiligung ansieht. Einfache Zinsen besteuert nach dem Doppelbesteuerungsabkommen allein der Ansässigkeitsstaat (hier Österreich). Für gewinnabhängige Zinsen besteht hingegen ein Quellenbesteuerungsrecht (hier in Deutschland).

In seinen Schlussanträgen legt Mengozzi ausführlich den Begriff der Gewinnbeteiligung aus. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, einer engen Auslegung den Vorzug zu geben. Danach setze eine Gewinnbeteiligung im Sinne des Abkommens auch eine tatsächlich gewinnabhängige Verzinsung voraus. Allein die Kopplung an ein negatives Bilanzergebnis reiche nicht aus. Anderenfalls würde man sich zu weit vom OECD-Musterabkommen entfernen, auf welches die Streitparteien in Zweifelsfällen zurückgreifen wollten.

Etwas unglücklich formuliert sind die kurzen Ausführungen Mengozzis zu einer einschlägigen BFH-Entscheidung. Dieser hatte vor einigen Jahren der weiten Auslegung des Begriffs der Gewinnbeteiligung den Vorzug gegeben. Der Generalanwalt bügelte dieses Vorbringen der Bundesregierung recht humorlos ab, indem er sich auf die fehlende Bindung des EuGH an die Auslegung des nationalen Rechts berief. Tatsächlich hat der BFH das Abkommen in seiner Entscheidung jedoch aus sich selbst heraus ausgelegt. Insofern wäre es angebracht gewesen, die BFH-Auffassung zu berücksichtigen. Ein genauerer Blick in die Entscheidung aus München zeigt jedoch, dass sich das Gericht damals im Wesentlichen auf eine Billigung der erstinstanzlichen Entscheidung beschränkt hat. Zwar steht das Abkommen einer weiten Auslegung tatsächlich nicht entgegen. Jedoch ist – wie Mengozzi detailliert herausarbeitet – eben die enge Auslegung vorzugswürdig.

Bei seiner Entscheidung dürfte der Gerichtshof den Schlussanträgen des Generalanwalts folgen: rein statistisch ohnehin; im Übrigen ist im Streitfall auch kein tragendes Argument für die deutsche Auffassung ersichtlich. Dann stünde Österreich das Besteuerungsrecht zu. Der deutsche Steuerzahler darf immerhin die Kosten des Schiedsverfahrens übernehmen. In einem neuen § 50d Abs. 17 Einkommensteuergesetz heißt es vermutlich demnächst, dass Zinsen auf Genussscheine – ungeachtet des Abkommens mit Österreich – stets in Deutschland besteuert werden.

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