Wir sind mitten in der Hauptversammlungs-Hochsaison. Doch anders als bisher finden alle Aktionärstreffen aufgrund der aktuellen Einschränkungen rein virtuell statt. Dies sorgt bereits seit Wochen für kontroverse Diskussionen. Auffallend auch: Nur wenige Unternehmen weisen am Ende der Hauptversammlungen auf die nächste Hauptversammlung hin. Präsenz oder virtuell? Dazu gibt es nur zaghafte Äußerungen, denn niemand weiß, ob in einem Jahr physische Aktionärstreffen – also Großveranstaltungen – möglich sein werden.
So schnell wurde die virtuelle Hauptversammlung „Normalität“ in den letzten Wochen
Die diesjährige Hauptversammlungs-Saison ist besonders von diesen dynamischen Entwicklungen geprägt. Dies zeigt sich nicht nur an dem Datum der Erteilung des Bestätigungsvermerks. Auch konnten einige Unternehmen noch eine Präsenz-Hauptversammlung abhalten und hatten ihre Aktionäre lediglich darum gebeten, nicht persönlich zu erscheinen. Ebenso hatte der Vorstand der Deutschen Telekom anfangs noch vor, die Hauptversammlung als Präsenzveranstaltung abzuhalten, ruderte aber im Zuge der weiteren Ausbreitung des Corona-Virus zurück.
Anstelle einer weiten Anreise setzt der Aktionär sich vor seinen Laptop und verfolgt die Hauptversammlung. Die Würstchen kann er dabei nebenher selbst zubereiten, denn er kann die virtuelle Hauptversammlung verfolgen, aber eben nicht live Fragen stellen. Diese hat er bereits im Voraus über das Aktionärsportal des Unternehmens eingereicht. Über die dadurch entstehenden Einschränkungen der Aktionärsrechte soll hier nicht diskutiert werden, auch wenn dies ein sehr wichtiges Thema ist.
Saison 2021: Keine physischen Treffen mehr?
Auch wenn derzeit alle Hauptversammlungen rein virtuell stattfinden, ist derzeit nicht davon auszugehen, dass dies mittelfristig so bleiben wird. Die Kosten bei der Durchführung einer rein virtuellen Hauptversammlung sind deutlich geringer sind als bei einer Präsenz-Hauptversammlung, so zumindest meine Erfahrung. Dies ist eine Frage, die ich in diesem Jahr schon häufig gestellt habe. Bei einigen Unternehmen sind aufgrund von Stornierungen Kosten für die Absage der Räumlichkeiten o.ä. entstanden. Abgesehen davon ist eine rein virtuelle Hauptversammlung kostengünstiger als bei einer Präsenz-Veranstaltung.
Die Teilnahme ist für Aktionäre deutlich leichter, da die Anreise entfällt. Allerdings setzt dies eine gewisse Technik-Affinität voraus, die möglicherweise bei einigen Aktionären fehlt. Um diese Aktionäre nicht auszuschließen sollte es nach der Corona-Krise eine Mischform geben: Ein physisches Aktionärstreffen mit der Möglichkeit der digitalen Teilnahme. Eventuell höhere Kosten können durch ein schmaleres Buffet kompensiert werden.
Die Chance sollte genutzt werden, dass der Fokus der Hauptversammlung künftig viel mehr auf der Generaldebatte und damit dem Austausch der Unternehmensleitung mit den Aktionären als auf der Qualität des Caterings liegen. Auch ein persönlicher Austausch in den Pausen, vor und nach der Versammlung ist sicherlich wünschenswert. Dieser entfällt in diesem Jahr komplett: Mit meinen Sprecherkollegen anderer Schutzvereinigungen kann ich mich während der Hauptversammlung nur per What’s app austauschen. Das Gespräch bei einem Kaffee oder auf der Hinfahrt zur Hauptversammlung entfällt und somit das Kennenlernen vieler Kollegen. Denn dies ist meine erste Saison als Hauptversammlungssprecherin der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger.
Fazit:
Die Tradition der Hauptversammlung ist im Wandel. Auch wenn die diesjährige Saison vor besonderen Herausforderungen steht, sollte die Krise als Chance genutzt werden, die Hauptversammlung zu digitalisieren und eine virtuelle Teilnahme zu ermöglichen.