Die Finanzämter kämpfen derzeit noch mit der Einspruchsflut gegen die Festsetzung der neuen Grundsteuerwerte, da rollt auch schon die nächste Welle heran: Es wird in den Finanzämtern in Kürze wohl hunderttausende Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide 2023 und die Einkommensteuer-Vorauszahlungsbescheide 2024 geben. Was ist geschehen?
Zunächst zum Hintergrund:
Das Bundesverfassungsgericht hatte vor über 25 Jahren entschieden: Das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum bildet die Grenze für das einkommensteuerliche Existenzminimum, die über-, aber nicht unterschritten werden darf (BVerfG, Beschluss vom 10.11.1998, 2 BvL 42/93). Im Klartext: Wenn der Gesetzgeber der Auffassung ist, dass das sozialhilferechtliche Existenzminimum beispielsweise bei 12.000 Euro liegt, muss der steuerliche Grundfreibetrag ebenfalls bei – mindestens – 12.000 Euro liegen.
Nun kommt es: Nach Auffassung des Schleswig-Holsteinischen FG ist die Höhe des Grundfreibetrages sowohl für 2023 als auch für 2024 zwar nicht zu beanstanden und zu einer Vorlage ans Bundesverfassungsgericht konnten sich die Richter nicht durchringen. Allerdings hegen sie dennoch leise Zweifel und haben die Revision zugelassen. Diese liegt dem BFH vor (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 28.6.2024, 1 K 37/23, Revision unter III R 26/24).
Kurz zum zugrunde liegenden Fall:
Die Kläger beantragten, die Einkommensteuer-Vorauszahlungen für 2023 neu festzusetzen. Ausweislich eines Berichts in der Berliner Morgenpost betrügen die Leistungen nach dem Bürgergeld 14.280 Euro, während der Grundfreibetrag lediglich bei 10.908 Euro gelegen habe. Das Bürgergeld sei also höher als der steuerliche Grundfreibetrag, was einen Verstoß gegen den oben erwähnten Grundsatz aus Karlsruhe darstelle. Die Klage wurde zwar abgewiesen, doch – wie erwähnt – wurde die Revision zugelassen.
Die Begründung des Urteils ist sehr komplex, denn das FG hat sich vertieft ins Sozialrecht begeben. Vereinfacht ausgedrückt sieht das FG in 2023 keinen Verstoß bezüglich des Gleichklangs von Sozial- und Steuerrecht, weil es in 2023 eine sozialrechtliche Sondersituation gegeben habe, die dazu geführt hat, dass vielen Bürgern Wohnkosten erstattet wurden, die gemeinsam mit anderen Unterstützungsleistungen zu einem Wert oberhalb von 10.908 Euro führen konnten. Die Sondersituation habe steuerlich aber nicht abgebildet werden müssen. Und in 2024 sei die Abweichung zwischen Sozial- und Steuerrecht nur so gering (15 Euro pro Monat), dass sie nicht ins Gewicht falle.
Denkanstoß:
Man könnte nun viel zu dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG schreiben und es auch durchaus kritisieren. Doch letztlich ist nur wichtig, dass die Revision vorliegt und sich der BFH der Sache annehmen muss. Eine Prognose zum Ausgang des Verfahrens wage ich nicht. Aber es gilt natürlich die Empfehlung, ab sofort alle Einkommensteuerbescheide 2023 und gegebenenfalls auch die Vorauszahlungsbescheide 2024 anzufechten