Unverändert beschäftigt uns das sog. „Corona-Virus“ im Alltagsleben wie auch im beruflichen Umfeld. Selbst in der Rechnungslegung werden unzählige Fragen aufgeworfen. Zahlreiche Unternehmen werden durch die wirtschaftlichen Folgen der Maßnahmen zur Viruseindämmung erhebliche Gewinnrückgänge, vielfach auch hohe Verluste erleiden. Hier könnte es sich anbieten, bisherige Rechnungslegungsmethoden aufzugeben, um hierdurch kurzfristig positive Effekte auf den handelsrechtlichen Erfolg zu erreichen, d.h. einen höheren Jahresüberschuss oder einen geringeren Jahresfehlbetrag darzustellen. Dem könnte aber der Stetigkeitsgrundsatz entgegenstehen. Somit stellt sich die Frage, ob das Auftreten der Corona-Krise eine Durchbrechung des Stetigkeitsgrundsatzes rechtfertigen kann?
Der Stetigkeitsgrundsatz setzt sich aus 4 Teilgrundsätzen zur Methodenstetigkeit zusammen. So legt der Gesetzgeber die Ansatzstetigkeit (§ 246 Abs. 3 HGB), die Bewertungsstetigkeit (§ 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB) und die Darstellungsstetigkeit (§ 265 Abs. 1 HGB) fest. Aus den gesetzlich explizit geregelten Grundsätzen wird dann der vierte Teilgrundsatz, die sogenannte sachliche Stetigkeit oder besser der Grundsatz der Methodeneinheitlichkeit abgeleitet.
Alle 4 Teilgrundsätze sind als Methodenfestlegungen zu verstehen. Existieren gesetzliche Wahlrechte oder Ermessensspielräume bei der Auswahl einer Methode, ist nach den gesetzlich festgelegten Stetigkeitsgrundsätzen die gewählte Methode im Zeitablauf beizubehalten. Nach dem Grundsatz der Methodeneinheitlichkeit ist auf gleichartige Vermögensgegenstände bzw. Sachverhalte eine einheitliche Rechnungslegungsmethode anzuwenden.
Eine Durchbrechung der Methodenstetigkeit ist in begründeten Ausnahmefällen zulässig (§ 246 Abs. 3, § 252 Abs. 2, § 265 Abs. 1 HGB). Die Abweichungen sind, bei Unternehmen die zur Erstellung verpflichtet sind, im Anhang anzugeben und zu begründen (§ 265 Abs. 1, § 284 Abs. 2 Nr. 2 HGB). Bei Abweichungen von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden ist der Einfluss auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage im Anhang gesondert darzustellen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die „Corona-Krise“ als hinreichender Grund für die Durchbrechung der Methodenstetigkeit herangezogen werden kann? Das IDW sieht in seinem Rechnungslegungsstandard (RS HFA 38.15) zur Stetigkeit „grundsätzlich“ nur folgende begründete Anlässe für eine Durchbrechung der Stetigkeit:
- Die Abweichung wird durch eine Änderung der rechtlichen Gegebenheiten (insb. Gesetz, Satzung, Rechtsprechung) veranlasst.
- Die Abweichung vermittelt unter Beachtung der GoB ein besser den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage.
- Die Abweichung dient dazu, Ansatz- oder Bewertungsvereinfachungsverfahren in Anspruch zu nehmen.
- Die Abweichung erfolgt im Jahresabschluss zur Anpassung an konzerneinheitliche Bilanzierungsrichtlinien.
- Die Abweichung ist erforderlich, um steuerliche Ziele zu verfolgen.
Zwar verweist das IDW auf die „grundsätzliche“ Bedeutung dieser Aufzählung. Weitere Hinweise zu den Voraussetzungen einer Akzeptanz weiterer Beispiele enthält der Standard, soweit ersichtlich, jedoch nicht. Ähnlich regelt das DRSC in seinem Standard DRS 13.8 die begründeten Ausnahmen, wobei dort konzernspezifische Sachverhalte ergänzt werden.
Aus den genannten Ausnahmesachverhalten lässt sich nicht schließen, dass etwa exogene Schocks zu einer begründeten Durchbrechung der Methodenstetigkeit führen können. Genau so argumentiert aber das IDW im Teil 2 seiner fachlichen Hinweise zu den Auswirkungen der „Corona-Krise“:
„Die Folgen des Coronavirus stellen ohne Zweifel ein gravierendes exogenes Ereignis dar, mit ebensolchen Auswirkungen sowohl auf die Unternehmen selbst als auch auf ihr Umfeld. Soweit dies individuell zu einer erheblichen Entwicklungsbeeinträchtigung oder gar einer Krise führt, ist eine Anpassung der bisherigen Bilanzpolitik unter Umständen möglich. Das gilt etwa dann, falls die bisherige Bilanzpolitik zur Legung stiller Reserven geführt hat und dies fortan vermieden werden soll.“
Das genannte Beispiel mit der Aufgabe der Legung stiller Reserven ist zwar harmlos, weil es sicher eine Durchbrechung der Stetigkeit wegen eines besseren Bildes von der Vermögens-, Finanz- bzw. Ertragslage begründet. Die Ausführungen des IDW scheinen insgesamt aber breiter angelegt. So führt das IDW neben dem Verweis auf exogene Ereignisse aus, durch die Möglichkeit zur Durchbrechung der Stetigkeit solle es dem Bilanzierenden möglich sein, sich an die nicht von ihm herbeigeführte Änderung der Verhältnisse anzupassen, der er sich auch nicht „anderweitig entziehen kann“. Auch die andernfalls gefährdete Einleitung von Sanierungsmaßnahmen soll eine Durchbrechung der Stetigkeit rechtfertigen.
Das klingt angesichts der desolaten Lage sicher alles sehr hilfreich für die Bilanzierer. Nur kann ich eine Grundlage für diese Auslassungen des IDW kaum erkennen. Weder in den Standards des IDW noch des DRSC finden sich vergleichbar großzügige Argumente für eine Durchbrechung der Stetigkeit. Man kann hier durchaus den Eindruck gewinnen, das IDW biegt das Recht sehr weit. Teils finden sich jedoch in der Kommentarliteratur Ansatzpunkte, die ein solch breites Verständnis von den Durchbrechungsmöglichkeiten stützen. So werden bspw. neben der Einleitung von Sanierungsmaßnahmen auch die geänderte Einschätzung der Unternehmensentwicklung oder ein geänderter Beschäftigungsgrad genannt (vgl. ADS 6. Aufl., § 252 HGB Tz. 113).
Sicher, in einer schwierigen Zeit könnte man leicht zur Auffassung gelangen, der Zweck heilige alle Mittel. Wenn aber jede externe Belastung, und sei sie in ihrer Wirkung noch so breit und massiv, eine Durchbrechung der Stetigkeit rechtfertigen kann, wird der Stetigkeitsgrundsatz substanzlos. Er soll doch den Adressaten gerade ermöglichen, die tatsächliche Entwicklung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage nachzuzeichnen. Transparenz und Vergleichbarkeit der Jahresabschlüsse sind wichtige Güter. Es kann doch nicht sein, dass vor dem Hintergrund einer zugegeben äußerst ungünstigen Entwicklung dieses Ziel nicht mehr gelten soll. Zwar gewähren die Anhangangaben einen gewissen Ausgleich. Der Anhang gilt aber gemeinhin als Informationsinstrument zweiter Klasse und nicht jeder Bilanzierer muss einen Anhang erstellen.
Weitere Informationen:
- Fachlicher Hinweis des IDW v. 25.3.2020, Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus auf die Rechnungslegung und deren Prüfung (Teil 2)
- IDW, RS HFA 38, Ansatz- und Bewertungsstetigkeit im handelsrechtlichen Jahresabschluss
- DRS 13, Grundsatz der Stetigkeit und Berichtigung von Fehlern
Hier finden Sie alle für Sie wichtigen Themenbeiträge rund um das Coronavirus in der NWB Datenbank: