Gesetzliche Corona-Impfpflicht für alle – geht das rechtlich überhaupt?

Steigende Inzidenzzahlen, drohender Kollaps des Gesundheitssystems, freiwillige Impfungen gegen das COVID-19-Virus nur noch im Schneckentempo: Brauchen wir eine generelle gesetzliche Impfpflicht ? Welche rechtlichen Grenzen sind dabei zu beachten?

Hintergrund

Eine flächendeckende gesetzliche Impfpflicht ist in Deutschland ein „heiliger Gral“: Niemand will sie eigentlich, die Politik hat sie schon zu Beginn der Corona-Pandemie zum Tabu erklärt. Inzwischen aber hat das Thema angesichts der dramatischen Entwicklung der Corona-Infektionszahlen mit dem Attribut „Hochrisikogebiet Deutschland“ zu einer kontroversen Diskussion geführt. Freiwilligkeitsappelle zur Steigerung der Impfquoten verhallen bislang ungehört. Brauchen wir also eine gesetzliche Impfpflicht in Deutschland – für alle?

Wer dürfte eine (generelle) Impfpflicht anordnen?

Als erster Staat weltweit führte Bayern 1807 durch königliche Verordnung eine verbindliche Pockenschutzimpfung ein. Wer sich widersetzte, wurde mit drakonischen Geldstrafen belegt. In der Gegenwart ist für eine allgemeine Impfpflicht der Bund zuständig, der das Infektionsschutzgesetz (IfSG) ändern müsste. Eine Zuständigkeit des Bundes ergibt sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, wonach der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten ausüben kann. Hierunter fällt sowohl die Bekämpfung von Krankheiten als auch die entsprechende Vorsorge; mit dem „Gesetz für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention. (Masernschutzgesetz, BGBl. 2020 I S. 148) hat der Bundesgesetzgeber mit Wirkung ab 1.3.2020 im IfSG faktisch eine grundsätzliche Impfpflicht gegen Masern für bestimmte Bevölkerungsgruppen geregelt (§ 20 Abs. 8 bis Abs. 12 IfSG).

Welche Grundrechte, welche verfassungsrechtlichen Vorgaben sind bei einer generellen Impfpflicht zu beachten?

Eine gesetzliche Impfpflicht ist ein Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG), denn durch die Impfung berührt die physische Gesundheit und körperliche Integrität. Da Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG einen Gesetzesvorbehalt enthält, kann das Grundrecht nur auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden, eine (allgemeine) Impfpflicht wäre dabei verhältnismäßig, sofern damit ein „legitimes Ziel“ verfolgt wird und sie ferner geeignet, erforderlich und angemessen ist. Durch die Impfungen sollen sowohl die bereits Geimpften als auch die bisher nicht Geimpften vor Erkrankungen mit dem Coronavirus geschützt werden, ein „legitimes Ziel“ also. Denn der Aufbau einer sogenannten Herdenimmunität  bewirkt nach wissenschaftlicher Erkenntnis die Unterbrechung von Infektionsketten, sodass einzelne Infizierungen nicht zu größeren Ausbrüchen der Krankheit führen, langfristig kann das COVID-19-Virus also ausgerottet, die Pandemie beendet werden; dass das ein legitimes Ziel ist, wird niemand ernsthaft bezweifeln.

Die für eine Herdenimmunität erforderliche Durchimpfungsrate ist derzeit zwar noch nicht wissenschaftlich belegt. Allerdings reicht es, dass das „legitime Ziel“ wenigstens gefördert wird, so dass von der „Eignung“ jedenfalls für die Bevölkerungsgruppen auszugehen ist, für die es bereits einen zugelassenen Impfstoff gibt. Da kein anderes Mittel verfügbar ist, das in gleicher Weise geeignet ist, den Zweck zu erreichen, aber den Betroffenen und die Allgemeinheit weniger belastet, muss inzwischen auch von der „Erforderlichkeit“ einer Impfpflicht ausgegangen werden, zumal dem Gesetzgeber bei Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ein Einschätzungsspielraum zuzubilligen ist. Um „angemessen“ zu sein, dürfte das Ziel einer Impfpflicht nicht außer Verhältnis zum Mittel stehen. Dazu sind aber auch die mit einem Eingriff betroffenen Rechtsgüter auch gegen schützenswerte andere Rechtsgüter abzuwägen: Das gilt zunächst für die Geimpften, die ebenfalls den Schutz auf körperliche Unversehrtheit genießen, jedoch ohne Impfpflicht einem erhöhten Infektionsrisiko namentlich durch Ungeimpfte ausgesetzt sind. Diese Ansteckungs- und Erkrankungsrisiken hat der Gesetzgeber mit abzuwägen. Auch das Allgemeininteresse an einem funktionierenden Gesundheits- und Krankenhaussystem ist meines Erachtens ein wichtiger Abwägungsposten.

Wie sind die aktuellen politischen Pläne für eine Impfpflicht zu bewerten?

Die neue Ampel-Koalition will eine Impfpflicht auf den Weg bringen, allerdings nur „berufsbezogen“ in bestimmten Einrichtungen und Unternehmen (zB Alten- und Pflegeheimen), „eine Ausweitung bleibt zu prüfen“, heißt es. Aber reicht eine derartige einrichtungsbezogene (sektorale) Impfpflicht, hilft sie wirklich weiter? Meines Erachtens hilft es der Altenheimbewohnerin wenig, wenn zwar das Betreuungspersonal im Altenheim geimpft ist, sie aber weiterhin ein Infektionsrisiko trägt, etwa wenn sie sich mit dem Taxi zu ihrem Hausarzt fahren lässt und dem ungeimpften Taxifahrer begegnet.

Zu Recht fordert deshalb meines Erachtens die Union inzwischen eine allgemeine Impfpflicht, und zwar bereits ab 1.1.2022. Dies mag ambitioniert klingen, ist als „ultima ratio“ aber nunmehr unausweichlich. Weiter zu warten, ob die Impfquote auf freiwilliger Basis signifikant steigt, ist meines Erachtens nicht länger zu verantworten und wäre töricht. Wichtig ist hierbei, dass „Impfpflicht“ nicht mit „Impfzwang“ verwechselt werden darf: Eine zwangsweise Durchführung der Impfung kommt nicht in Betracht, allerdings sollte ein Verstoß gegen die Impfpflicht bußgeldbewehrt sein und empfindliche Geldbußen nach sich ziehen.

Allerdings muss die Politik gleichzeitig umgehend zwei andere Probleme lösen: Erstens eine ausreichende Verfügbarkeit von Impfstoff, der aktuell leider schon wieder nur eingeschränkt zur Verfügung steht. Und zweitens muss die Impfinfrastruktur schnellstens wieder aufgebaut werden, die derzeit vor allem personell an Grenzen stößt. Nur mit diesem Dreiklang kann „Impfen als Ausweg aus der Pandemie“ gelingen.

Quellen


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

22 + = 26