Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat zuletzt mehrfach in Interviews herausgehoben, dass sich die Demokratie in der Pandemiezeit als sehr wehrhaft gezeigt hat und Bundestag und Bundesregierung jederzeit handlungsfähig waren. Auch hat er darauf hingewiesen, dass die Abgeordneten ihre Aufgabe im repräsentativen System stets wahrgenommen hätten.
Ich möchte Herrn Schäuble nicht im Grundsatz, aber doch im Detail widersprechen. Zugegebenermaßen habe ich nur die Steuergesetzgebung und die angrenzende Gesetzgebung in Wirtschaftsfragen im Blick. Doch hier ist meines Erachtens viel im Argen geblieben.
So haben mir Vertreter zahlreicher Verbände zu erkennen gegeben, dass sie den Eindruck hatten, aus bestimmten Gesetzgebungsverfahren bewusst herausgehalten worden zu sein, damit von vornherein Kritik unterbunden wurde. Oder Gesetzesvorlagen im Umfang von hundert Seiten und mehr wurden den Verbänden nachmittags zugeleitet mit der Bitte, dazu am anderen Morgen bis um 8.00 Uhr Stellung zu nehmen.
Ich selbst habe übrigens unzählige Male versucht, mit einem Bundestagsabgeordneten meines Wahlkreises Kontakt aufzunehmen, um mit ihm eine Passage eines bestimmten Gesetzesvorhabens zu erörtern. Da ich diesen Blog nicht für Eigeninteressen und schon gar nicht für politische Fragen missbrauche, sage ich jetzt nicht, um welchen Abgeordneten und um welches Anliegen es ging. Nur so viel: Er ist von dem in der Sache, aber nicht für „meinen“ Wahlkreis zuständigen MdB der betreffenden Partei mehrfach gebeten – ja geradezu aufgefordert – worden, mit mir in Kontakt zu treten. Sie ahnen es: Auf die Kontaktaufnahme warte ich bis heute.
Natürlich sind keine Regierung und kein Abgeordneter verpflichtet, vor einer Abstimmung die Meinung von Verbänden und fachkundigen Bürgern einzuholen. Doch unsere Demokratie lebt davon, sich vor der Verabschiedung von Gesetzen ein umfassendes Meinungsbild zu schaffen, um anschließend für eine hohe Akzeptanz bei Bürgerinnen und Bürgern zu sorgen. Und das Einholen dieses Meinungsbildes ist zuletzt auf der Strecke geblieben. Oder um es drastischer zu formulieren. Von jeweils interessierter Seite ist es bewusst auf der Strecke liegen gelassen worden.
Zum Gesetzgebungsverfahren an sich: Wichtige steuerliche Änderungen sind zuweilen in kürzester Zeit „durchgepeitscht“ worden. Das wäre an sich nicht verwerflich. Doch wenn der Bundesrat – wie etwa am KöMoG – erhebliche Kritik anbringt, die außerhalb von Corona-Zeiten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Vermittlungsausschuss geführt hätte, so irritiert es schon, wenn der Bundesrat „plötzlich“ zustimmt. Zudem sind wichtige Gesetzesänderungen immer wieder in art- und sachfremden Gesetzen untergebracht worden.
Nach eineinhalb Jahren Pandemie bleibt meines Erachtens festzuhalten, dass wir in einer starken Demokratie leben. Ich kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass sich zumindest einige Wenige mit der derzeitigen Situation „ordentlich“ arrangiert haben und auch ganz gut ohne kritische Stimmen von Verbänden und Bürgern leben können. Um es mit den Worten von Armin Laschet zu sagen: Wir müssen wieder zu einer verantwortungsvollen Normalität zurückkehren.
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