Gesetz zu kompliziert – deshalb kein Verspätungszuschlag!

Wer zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet ist, diese aber erst mit erheblicher Verspätung abgibt, muss mit einem Verspätungszuschlag rechnen. Dieser ist zwingend festzusetzen, wenn die Fristüberschreitung mehr als 14 Monate beträgt. Davon wiederum gibt es nur eng begrenzte Ausnahmen.

Eine solche enthält § 152 Abs. 5 Satz 3 AO, in dem es heißt: „Wurde ein Erklärungspflichtiger von der Finanzbehörde erstmals nach Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist zur Abgabe einer Steuererklärung innerhalb einer dort bezeichneten Frist aufgefordert und konnte er bis zum Zugang dieser Aufforderung davon ausgehen, keine Steuererklärung abgeben zu müssen, so ist der Verspätungszuschlag nur für die Monate zu berechnen, die nach dem Ablauf der in der Aufforderung bezeichneten Erklärungsfrist begonnen haben.“

Zu einem Fall des § 152 Abs. 5 Satz 3 AO hat das FG Sachsen-Anhalt im vergangenen Jahr entschieden, und zwar – zumindest für mich – durchaus überraschend: Es könne nicht erwartet werden, dass ein steuerlicher Laie seine Verpflichtung zur Abgabe einer Einkommensteuersteuererklärung (nach § 149 Abs. 3 Nr. 1 AO, § 25 Abs. 1 EStG, § 46 Abs. 2 Nr. 3 EStG, § 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 EStG und § 56 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStDV) kennt, ohne darauf hingewiesen worden zu sein. Der steuerliche Laie könne daher in diesem Fall im Hinblick auf die Festsetzung eines Verspätungszuschlages gemäß § 152 Abs. 5 Satz 3 AO davon ausgehen, keine Steuererklärung abgeben zu müssen.

Das heißt übersetzt: Wird im Rahmen des Lohnsteuerabzugs eine höhere Vorsorgepauschale abgezogen als an Vorsorgeaufwendungen entstanden sind, so besteht zwar eine Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuersteuererklärung, doch das Zusammenspiel der entsprechenden Vorschriften ist so kompliziert, dass es eine Laie nicht versteht (FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 22.2.2024, 2 K 628/22).

Der Sachverhalt:

Die Kläger sind Ehegatten. Beim Ehemann wurde im Rahmen des Lohnsteuerabzuges 2019 die Mindestvorsorgepauschale in Höhe von 1.900 EUR berücksichtigt. Seine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung lagen im Jahr 2019 darunter. Eine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2019 hatten die Eheleute nicht abgegeben. Im September 2020 versandte das Finanzamt folgendes Schreiben an die Ehegatten „Sofern eine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung besteht, reichen Sie bitte die Steuererklärung(en) / Unterlagen zur Steuererklärung elektronisch über ELSTER (www.elster.de) oder – sofern zulässig – nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck in Papierform bis spätestens 23.09.2020 ein.”

Da die Ehegatten dennoch keine Einkommensteuererklärung abgaben, schätze das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen und erließ im Februar 2022 einen Steuerbescheid für das Jahr 2019. Darüber hinaus setzte es auch einen Verspätungszuschlag fest. Gegen den Bescheid zum Verspätungszuschlag legten die Eheleute Einspruch ein. Zur Begründung legten sie dar, dass sie zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2019 nicht verpflichtet seien. Sie hätten die Steuerklassen IV/IV und keine Lohnersatzleistungen oder Ähnliches erzielt. Das Finanzamt wies darauf hin, dass sich die Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung aus § 46 Abs. 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 EStG ergebe, weil die im Rahmen des Lohnsteuerabzuges berücksichtigte Vorsorgepauschale höher sei als die abziehbaren Vorsorgeaufwendungen. Der Verspätungszuschlag sei ordnungsgemäß festgesetzt worden. Weil die Verspätung mehr als 14 Monate betragen habe, bestehe insoweit kein Ermessen. Doch das Finanzgericht sieht die Sache anders. Der festgesetzte Verspätungszuschlag sei auf 0 Euro zu reduzieren.

Die Begründung:

Das Erinnerungsschreiben des Finanzamts vom September 2020 stellt keine Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung dar. Dieses Schreiben enthielt lediglich einen formlosen Hinweis, dass eine Einkommensteuererklärung für 2019 bis dahin nicht eingegangen war, und welche Folgen eine Nichtabgabe oder verspätete Abgabe einer Steuererklärung haben kann, falls eine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe besteht. Einen expliziten Hinweis, den die Kläger als Aufforderung zur Erklärungsabgabe hätten verstehen müssen, enthält das Schreiben dagegen nicht. Die Kläger durften bis zum Ablauf der Frist des § 152 Abs. 9 Satz 1 AO (Tag der Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids 2019) auch davon ausgehen, keine Steuererklärung abgeben zu müssen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die steuerlich nicht beratenen Kläger ihre Verpflichtung zur Abgabe einer Einkommensteuersteuererklärung kannten oder kennen mussten.

Diese gesetzliche Abgabeverpflichtung ergibt sich aus einer Kette mehrerer gesetzlicher Normen und aus Verweisen auf zum Teil sehr umfangreiche und nicht einfach zu lesende gesetzliche Normen. Insbesondere sind die Ausführungen in den §§ 46 Abs. 2 Nr. 3 und 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 EStG für einen Laien kaum zu verstehen. Es kann daher nicht erwartet werden, dass ein steuerlicher Laie diese Verpflichtung kennt, ohne darauf hingewiesen worden zu sein.

Denkanstoß:

Es wurde die Revision zugelassen, die aber offenbar nicht eingelegt wurde. Wohl zum Glück für die Kläger, denn persönlich glaube ich nicht, dass das Urteil vor dem BFH Bestand gehabt hätte. Bei allem Respekt für die Kläger und die Richter der FG: Ich gebe zu, dass – wenn man den Gesetzeswortlaut liest – alles sehr kompliziert klingt. Doch das betrifft viele Veranlagungstatbestände.

Warum sollte man eine Steuererklärung dann überhaupt noch pünktlich abgeben? Der Gewissenhafte wäre der Dumme, wenn man das Urteil verallgemeinern würde. Aber sei es drum: Den Klägern gönne ich den Erfolg.

 

Ein Beitrag von:

  • Christian Herold

    • Steuerberater in Herten/Westf. (www.herold-steuerrat.de)
    • Autor zahlreicher Fachbeiträge
    • Mitglied im Steuerrechtsausschuss des Steuerberaterverbandes Westfalen-Lippe

    Warum blogge ich hier?

    Als verantwortlicher Redakteur und Programmleiter zahlreicher Steuerfachzeitschriften, meiner früheren Tätigkeit in der Finanzverwaltung und meiner über 25-jährigen Arbeit als Steuerberater lerne ich das Steuerrecht sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht kennen. Es reizt mich, die Erfahrungen, die sich aus dieser Kombination ergeben, mit den Nutzern des Blogs zu teilen und freue mich auf viele Rückmeldungen.

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