Angenommen, Sie haben in einem der vergangenen Jahre über 200.000 Euro liquide Mittel verfügt, so waren Sie froh, wenn Sie hierauf bei Ihrer Bank keine Negativzinsen zahlen mussten. An eine Habenverzinsung war kaum zu denken. Wenn das Konto „Ihrer“ GmbH gehörte, so war die Lage nicht besser. Auch diese hat keine Habenzinsen erzielt. Da lag vielleicht der Gedanke nahe, dass auch die Forderung einer GmbH gegenüber ihrem Gesellschafter unverzinslich bleiben konnte oder dass das Gesellschafter-Verrechnungskonto nicht verzinst werden musste. Doch ein solcher Gedanke ist bzw. war falsch.
Kürzlich hat der BFH entschieden: Der Verzicht auf eine angemessene Verzinsung einer auf einem Gesellschafter-Verrechnungskonto verbuchten Darlehensforderung einer GmbH kann zu einer verdeckten Gewinnausschüttung führen. Sind keine anderen Anhaltspunkte für die regelmäßig gebotene Schätzung der fremdüblichen Zinsen erkennbar, ist es nicht zu beanstanden, wenn von dem Erfahrungssatz ausgegangen wird, dass sich private Darlehensgeber und -nehmer die bankübliche Marge zwischen Soll- und Habenzinsen teilen (BFH-Urteil vom 22.2.2023, I R 27/20).
Der Sachverhalt in aller Kürze:
Klägerin war eine GmbH. Es bestand ein Verrechnungskonto, das in den Streitjahren 2014 und 2015 eine Forderung gegenüber dem Gesellschafter-Geschäftsführer auswies. Das Verrechnungskonto wurde nicht verzinst. Daraufhin schätzten das Finanzamt und später das FG fiktive Zinsen, die zu einer verdeckten Gewinnausschüttung führten. Es wurde ein Zinssatz von 4,5 Prozent unterstellt. Die Revision der GmbH blieb erfolglos.
Die Begründung:
Gewährt eine Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter ein Darlehen, kommt der Ansatz einer verdeckten Gewinnausschüttung insoweit in Betracht, als der Kredit zinslos oder zu einem unangemessen niedrigen Zins gewährt wird, denn es liegt hier eine verhinderte Vermögensmehrung bei der GmbH vor. Davon kann insbesondere auszugehen sein, wenn die Gesellschaft für den bei ihr angestellten Gesellschafter ein unangemessen verzinstes Verrechnungskonto führt. Hat die Gesellschaft selbst keinen Kredit aufgenommen, so bilden die banküblichen Habenzinsen die Unter- und die banküblichen Sollzinsen die Obergrenze der verhinderten Vermögensmehrung.
Der im Einzelfall maßgebliche Betrag innerhalb der genannten Marge ist durch Schätzung zu ermitteln, wobei dem Risiko, dass das Darlehen nicht zurückgezahlt werden kann, besondere Bedeutung zukommt. Sind keine anderen Anhaltspunkte für die Schätzung erkennbar, ist es nicht zu beanstanden, wenn von dem Erfahrungssatz ausgegangen wird, dass sich private Darlehensgeber und -nehmer die bankübliche Marge zwischen Soll- und Habenzinsen teilen.
Die Höhe des fremdüblichen Zinssatzes wurde vom Finanzamt und der Vorinstanz mit 4,5 Prozent geschätzt. Dabei wurde einerseits von banküblichen Habenzinssätzen ausgegangen, die im Streitzeitraum nur wenig über der 0-Prozent-Marke lagen, und andererseits von banküblichen Sollzinssätzen für revolvierende Kredite und Überziehungskredite an Privathaushalte, die sich bei etwas über 9 Prozent bewegten. Ausgehend von einer Margenteilung wurden mangels anderweitiger Anhaltspunkte sodann 4,5 Prozent angesetzt. Schätzungsfehler lagen nach Auffassung des BFH nicht vor.
Denkanstoß:
Die Argumentation der Gesellschaft, angesichts des allgemein niedrigen Zinsniveaus sei es ihr nicht möglich gewesen, das Kapital anderweitig ertragbringend anzulegen, ließen schon die Richter der Vorinstanz nicht gelten. Der BFH stimmt dem zu und weist darauf hin, dass der Einwand der Klägerin, der fremdübliche Zinssatz sei allein anhand der banküblichen Habenzinssätze zu bestimmen, unzutreffend ist.
Ich gebe zu, dass ich das Ergebnis des BFH nicht ganz nachvollziehen kann, denn wenn man als Grundlage der verdeckten Gewinnausschüttung die verhinderte Vermögensmehrung heranzieht, weiß ich nicht, welche Vermögensmehrung denn verhindert worden sein könnte. Es war doch fern jeglicher Realität, dass die GmbH in den Jahren 2014 oder 2015 einen Zinssatz von 4,5 Prozent hätte erzielen können. Hätte sie sich selbst als Bank ansehen und „irgendwem“ ein Darlehen ausreichen müssen?
Allerdings reiht sich auch dieses Urteil in andere Urteile des I. Senats ein, der sich bei seiner Betrachtungsweise eher an althergebrachten Grundsätzen als an den aktuellen wirtschaftlichen Gegebenheiten orientiert. Die Rechtsprechung zu Tantiemen und Pensionszusagen lässt grüßen.
Letztlich hilft meine Kritik aber nicht weiter. GmbH-Geschäftsführer und ihre steuerlichen Berater sollten umgehend prüfen, ob die vorhandenen Verrechnungskonten, gerade auch angesichts des wieder gestiegenen Zinsniveaus, angemessen verzinst werden.