Eigentlich ist die Sache einfach: Seit 2009 werden Gewinne aus Aktienverkäufen stets besteuert; dementsprechend müssen auch Verluste aus Aktienverkäufen steuerlich abziehbar sein. Zumindest müssen sie mit Gewinnen aus gleichartigen Geschäften verrechnet werden können.
Doch im Steuerrecht gilt nach dem Willen der Finanzverwaltung: Gewinne = gut, Verluste = selbst schuld. Und so streiten sich Kapitalanleger seit Jahren mit der Finanzverwaltung darum, ob und inwieweit ihre Aktienverluste steuerlich abziehbar bzw. verrechenbar sind. Ich kann die Verfahren, in denen die Finanzverwaltung unterlegen ist, zwar kaum noch zählen. Aber sie bleibt unglaublich hartnäckig.
Mal muss sie sich vom BFH sagen lassen, dass die Transaktionskosten keine Rolle bei der Frage spielen, ob ein Verlust abziehbar ist. Ein anderes Mal wird sie vom BFH darauf hingewiesen, dass Verluste aus der Wertloswerdung von Aktien zu berücksichtigen sind, wenn die AG insolvent ist bzw. sich in einem Insolvenzplanverfahren befindet.
Nun haben sich zahlreiche Anleger in der Vergangenheit überlegt, dass sie sich mit ihrem Finanzamt gar nicht erst über die Frage streiten wollen, ob eine Wertloswerdung bzw. Depotausbuchung von Aktien als Veräußerung i.S. von § 20 Abs. 2 EStG gilt. Und so kamen sie auf die Idee, ihren nahezu wertlosen Aktien zu verkaufen. Und dann wurde die Idee in der Weise weiterentwickelt, dass sich leidgeprüfte Anleger zusammenschließen. Sprich: Herr Meier verkauft seine (nahezu) wertlosen Aktien für 1 Euro pro Stück an Frau Müller; Frau Müller verkauft ihrerseits (fast) wertlose Aktien an Herrn Meier. Und die Verkäufe werden vollzogen, also nicht nur zum Schein abgewickelt.
Nun hat der BFH entschieden, dass die Veräußerung wertloser Aktien grundsätzlich keinen Gestaltungsmissbrauch darstellt – und zwar selbst dann nicht, wenn sich der Verkäufer verpflichtet, vom Käufer wertlose Aktien zu kaufen (BFH-Urteil vom 29.9.2020, VIII R 9/17). Der BFH unmissverständlich: Die gewählte Art der Veräußerung stellt eine durch das Gesetz eingeräumte Möglichkeit dar, die nicht gegen vom Gesetzgeber vorgegebene Wertungen verstößt, zumal mögliche Kurssteigerungen der vom Kläger erworbenen Aktien steuerverstrickt sind. Und weiter: Eine Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG ist weder von der Höhe der Gegenleistung noch von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten abhängig. Also eine weitere – klare – Schlappe für die Finanzverwaltung.
Doch was gilt ab 2020? Zum 1.1.2020 ist gesetzlich klargestellt worden, dass Verluste aus der Ausbuchung von wertlosen Aktien und anderer Wertpapiere abziehbar bzw. verrechenbar sind, wobei eine – umstrittene – Höchstgrenze von 20.000 Euro gilt.
Eine Kapitalforderung gilt auch dann als „uneinbringlich“, wenn sich abzeichnet, dass der Schuldner die Verbindlichkeit ganz oder teilweise nicht erfüllen wird. Die Regelung erfasst nach der Gesetzesbegründung auch Veräußerungstatbestände, die dann vorgenommen werden, wenn sich das „Solvenzrisiko“ des Gläubigers, hier also der AG, bereits ganz oder teilweise realisiert hat.
Ich bin daher skeptisch, ob das aktuelle BFH-Urteil auch in Fällen ab 2020 anwendbar ist. Besser gesagt: Es könnte sein, dass mittels entsprechender „gegenseitiger Verkäufe“ die Grenze von 20.000 Euro nicht ausgehebelt werden kann. Wie Sie wissen ist die Finanzverwaltung hartnäckig, wenn es um Verluste geht. Wie ist Ihre Auffassung?
Weitere Informationen zu diesem Urteil lesen Sie in der NWB Online-Nachricht Einkommensteuer | Verlust aus der Veräußerung von Aktien
Mit welchem Argument soll die 20.000 Euro-Grenze denn nicht geltend, wenn sich der Urteilsfall heute abspielen würde?
Die Frage ist, was unter der „Übertragung wertloser Wirtschaftsgüter“ konkret zu verstehen ist. Nach der Gesetzesbegründung wäre sozusagen bereits die Übertragung „fast“ wertloser Wirtschaftsgüter zu erfassen, da es sich insoweit um eine unerwünschte Gestaltung handeln würde.
Die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 11.12.2019 (BT-Drucksache 19/15876) lautet unter anderem: „…. die Regelung erfasst daher auch Veräußerungstatbestände, die zu Gestaltungszwecken abgewickelt werden, also insbesondere dann vorgenommen werden, wenn sich das Solvenzrisiko bereits ganz oder teilweise realisiert hat. Entsprechendes gilt für sonstige Wirtschaftsgüter im Sinne des § 20 Absatz 1 EStG.“
Nun sagt der BFH aber, dass die Veräußerung von fast wertlosen Aktien gerade nicht „zu Gestaltungszwecken“ abgewickelt wird. Ich meine aber dennoch, dass das aktuelle Urteil (zunächst) nur die Fälle bis 2019 betrifft.
In dem Entwurf des BMF-Schreibens vom 18.06.2020 heißt es dazu:
„Bei der Veräußerung ganz oder teilweise wertloser Wirtschaftsgüter ist bezogen auf den wertlosen Teil die Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Absatz 6 Satz 6 EStG zu berücksichtigen.“
Die Finanzverwaltung geht also von der Anwendbarkeit der 20.000-Euro-Grenze aus.
Das ist wieder einer der vielen undurchdachten und ungenauen Formulierungen der Theoretiker beim BMF. Dieses Gesetz und auch die „Verlustverrechnung“ bei Termingeschäften, wobei der genaue Terminus „Ausgabenbegrenzung“ konkreter ist, den ein Gewinn/Verlust gem. Einkommenssteuergesetz kann es nur der Saldo dieser Geschäfte: § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 a sein. Einen unterjährigen Verlust gibt es nicht. § 2 Abs. 7 EStG stellt klar, dass es sich um einen Zeitraum (1 Jahr handelt). Sollte ein privater Trader hinsichtlich den Termingeschäften eine unterjährige Ausgabe als Verlust deklarieren handelt er gegen § 2 Abs. 7 EStG und gegen § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 a, dort erklärt explizit zu den Einkünften aus Kapitalvermögen „den Gewinn bei Termingeschäften“ (Singular, bestimmter Artikel).
„wertlose Wirtschaftsgüter“: das kann der Gesetzgeber überhaupt nicht definieren. Eine Aktie im Wert von 1 Euro hat einen Wert von 1 Euro. Der Wert an der Börse wird ja bestimmt durch Angebot und Nachfrage. An keinem anderen Ort ist es so transparent und klar. Nun möchte der Gesetzgeber hier der „Experte“ sein und ein Wert bestimmen bei dem derjenige bestraft wird, der an ein Unternehmen glaubt.
Dieses Gesetz und diese Denkhaltung wird böse bestraft werden. A. kaum jemand wird sich wagen in Aktien zu gehen, den sie könnten ja wertlos werden und ich sitze auf meinen Verlust. B. absicher kann ich mich ja auch nicht mehr. Denn wenn ich einen put kaufe für die Aktie XY und diese geht hops, dann kann i ch nur 20.000,- k ansetzen, aber den Gewinn des puts muss ich ggf. voll versteuern, weil ja „Verlust“-Begrenzung Termingeschäfte: Das ist so wirtschaftsfeindlich, das es kaum zu überbieten ist.