Fortbestand der DPR ist eine Sackgasse

Interview mit Dietmar Hexel zur Zukunft der Bilanzkontrolle

Wie steht es mit der Zukunft der Bilanzkontrolle in Deutschland? Dazu habe ich mit Dietmar Hexel gesprochen. Er war bis 2015 Mitglied im Nominierungsausschuss der DPR. Seine Antworten sind ernüchternd, aber eine rosarote Brille hilft hier nicht weiter.

Das Deutsche Aktieninstitut befürwortet das Fortbestehen der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) in seiner bisherigen Form. Ist dies Ihres Erachtens der richtige Weg?

Nein, der Weg führt weiter in die Sackgasse und verhindert keinen neuen Bilanzskandal. Der Fall Wirecard zeigt deutlich: das zweistufige Enforcement (erst DPR, danach ggf. BaFin) hat sich leider nicht bewährt. Diese Idee eines zweistufigen Enforcements war schon 2005 umstritten. Damals schien es als Angebot an die Wirtschaft im Geiste neoliberaler Haltung richtig zu sein. Heute wissen wir: die Abhängigkeiten dieser privaten, von Unternehmen umlagenfinanzierten Einrichtung, sind zu groß, ebenso die Transaktionszeiten und -kosten. Es dauert einfach zu lange und dann gibt es, wie jetzt, auch noch Streit, wer zuständig ist.

Die fehlende Unabhängigkeit der DPR – vor allem die des Präsidenten – wurde schon oft thematisiert. Der unabhängige Prüfungswillen der DPR ist strittig. Die Aufsicht gehört in eine Hand. Alles was die DPR tun, kann auch eine staatliche, demokratisch kontrollierte Einrichtung tun – und einiges mehr. Eine privatrechtliche Einrichtung kann niemals so unabhängig sein wie eine Öffentliche.

Klar ist auch, bei Wirecard hat die DPR versagt. Sie hat zwar 2008 fehlerhafte Rechnungslegung bemängelt, bei Stichprobenprüfungen des Konzernabschlusses 2011 und 2014 jedoch nichts gefunden und auch keine notwendige und dringend gebotene sogenannte Anlassprüfung durchgeführt, obwohl die Wirtschaftspresse spätestens ab 2016 über Verdachtsfälle ausführlich berichtete. Die daraufhin von der BaFin dann 2019 veranlasste Verlangensprüfung zog sich hin. Es ist falsch, wenn die DPR sagt, sie hätte nicht genug Personal. Sie kann jederzeit auch Dritte mit der Prüfung beauftragen und sie hatte ihr Budget nach eigenen Aussagen gar nicht ausgeschöpft.

Nicht nur die DPR, auch die Abschlussprüfung wurde ursprünglich eingeführt, um Bilanzmanipulationen zu vermeiden. Doch offenbar will niemand Verantwortung übernehmen im Fall von Wirecard. Auch werden Verantwortungen hin und her geschoben, auch die Bafin steht in keinem guten Licht. Wie könnte eine effektive Bilanzkontrolle in Deutschland aussehen?

Eine Abschlussprüfung gab es natürlich auch schon früher, die Prüf- und Aufsichsverfahren wurden jedoch 2004 nach dem Enron-Skandal durch das Bilanzkontrollgesetz (BilkoG) verschärft. Sinn und Zweck des mit dem BilKoG eingeführten „zweistufigen Enforcement“ ist es im Wesentlichen nicht, unbeabsichtigte Fehler in der Bilanzierung ans Licht zu bringen. Das auch, doch es geht ausweislich der Regierungsbegründung ganz vorrangig darum, Bilanzmanipulationen bzw. Bilanzfälschungen präventiv aufzudecken bzw. zu verhindern. Es ist deshalb falsch, wenn behauptet wird, dazu sei die DPR nicht geschaffen worden bzw. zu gering ausgestattet. Sie hat meiner Kenntnis nach im Übrigen für diese Aufgabe deutlich mehr Kapazitäten als die BaFin.

Es geht um die ganze Ablaufkette der Rechnungslegung und Bilanzierung. Real betrachtet gibt es eigentlich ein vierstufiges System:

  1. Interne Rechnungslegung durch unternehmensinterne Finanzabteilung, Interne Revision, Compliance und Vorstand/Geschäftsführung.
  2. Externe Prüfung durch Wirtschaftsprüfer.
  3. Interne Prüfung des Jahresabschlusses durch Prüfungsausschuss und Aufsichtsrat.
  4. Externe Aufsicht durch DPR und ggf. BaFin. 

Wir haben also zwei interne und zwei externe Phasen in der Ablaufkette.

Wirklich effektive Bilanzkontrolle erfordert zum einen eine Kompetenzstärkung der internen Stellen. Beschäftigte müssen das Recht haben, auch staatliche Stellen zu informieren, wenn sie Manipulationen intern nicht abstellen können. Whistleblowing ist heute unverständlicherweise immer noch ein fristloser Kündigungsgrund. Vorstände sollten bei ihren Managergehältern nicht durch Boni zu Manipulationen oder gar Fälschungen verführt werden. Weiterhin braucht besonders der Aufsichtsrat und jedes seiner Mitglieder bessere Informations- und Durchsetzungsrechte. Mehrheitsbeschlüsse im Aufsichtsrat helfen hier nicht.

Ein Prüfungsausschuss ist unabdingbar – und vor allem auch die gesetzlich vorgesehene Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Sitzen gewählte Arbeitnehmer im Aufsichtsrat, wird die Informationslage besser und die Manipulationsmasse kleiner. Wircecard hat hier eine Lücke im Gesetz genutzt: der Aufsichtsrat war Arbeitnehmerfrei. Die muss geschlossen werden. Zweitens sind die externen Aufsichtsorgane zu verändern. Im Ergebnis ist ein einstufiges Verfahren schneller, besser und unabhängiger. Letzlich müssen die Wirtschaftsprüfergesellschaften andere gesetzlichen Vorgaben erhalten. Weiterhin sind die unterschiedlichen Zuständigkeiten und das Kompetenzwirrwarr des BMWi für die Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS) und die des BFM für die BaFin nicht zielführend.

Ein Blick über den Tellerrand ist oftmals hilfreich. Gibt es Länder, bei denen Deutschland sich für eine wirksame Bilanzkontrolle etwas lernen könnte? Wenn ja, was?

Darüber weiß ich nicht genug. Die SEC in Amerika hat augenscheinlich schärfere „Waffen“. Es gibt allerdings in den USA auch ein anderes Rechtssystem. Wir sollten an dem dualen System (Vorstand und Aufsichtsrat) in den Unternehmen festhalten. Fest steht, in Europa ist das zweistufe Enforcement einmalig. Auch aus diesem Grunde sollten wir dies aufgeben, damit auch über die Grenzen hinaus Kapitalmarktkontrolle von allen verstanden und wirksamer sind. Zusätzlich zur Rotation der Wirtschaftsprüfer sollte man die freie Wahl des Aufsichtsrates für einen Wirtschaftsprüfer durch gelegentliche zusätzliche, staatliche Bestellung eines Prüfers (joint audit) überlegen, so wie es ähnlich in Frankreich gemacht wird. Allerdings sollte das nicht zur Verdopplung des Umsatzes der Wirtschaftsprüfer führen!

Das Image des deutschen Kapitalmarktes und vor allem auch das Vertrauen in deutsche Institutionen wie die Bafin hat durch den Bilanzskandal bei Wirecard einen massiven Schaden erlitten. Kann dieses Vertrauen wiederhergestellt werden?

Bei Wirecard hat nicht die BaFin versagt, soweit ich aus öffentlichen Quellen weiß, sondern ganz eindeutig die DPR. Sie, nicht die BaFin, ist vom Gesetz her für die Kontrolle der Rechnungslegung bei Wirecard zuständig und verantwortlich. Die BaFin und das Parlament müssen sich nun überlegen, wie die BaFin wieder in eine wirksamere Position und ein besseres Licht kommt.

Wichtig ist mir auch, es geht nicht nur um die Anleger, sondern um alle Stakeholder, die beteiligt sind. Vor allem sind auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (WP) und ihre Institutionen in den Blick zu nehmen. Sie prüfen die Rechnungslegung und testieren die Abschlüsse vor der Prüfung durch Aufsichtsräte und DPR. Ihre Haftungsgrenzen sind mit 4 Mio. zu niedrig. Um Abhängigkeiten zu verkleinern und zu vermeiden sind ein gesetzliches Verbot für Eigentümer von WP-Gesellschaften, die gleichzeitig auch Beratungsunternehmen zu betreiben, also eine strikte wirtschaftliche, nicht nur rechtliche Trennung überfällig. Eine einheitliche Gebührenordnung wie bei den Notaren gehört ebenso auf die Tagesordnung.

Bei Reformvorschlägen spielt Lobbyismus eine nicht zu unterschätzende Rolle. Was würden Sie sich hier für die Zukunft meiner Generation in unserem Land wünschen? Haben Sie hier konkrete Forderungen an die Politik?

Ein weites Feld. Das geforderte Lobby-Register kann sicher mehr Transparenz herstellen. Ich bin jedoch skeptisch, ob es wirklich hilft. Charakterstärke bei den Politikern und Beamten und eine kritische Öffentlichkeit helfen mehr. Ich würde es für einen Witz halten, wenn es den Lobbyisten gelingt, die DPR weiter im Geschäft zu halten. Hier muss das Parlament ganz klar „Nein“ sagen.

Soweit die Rechnungslegung und Bilanzierung angesprochen sind, so muss man deutlich darauf hinweisen, dass sowohl die Standardisierungsgremien wie das DRCS (Deutsches Rechnungslegungs Standards Committee e.V. – dem kapitalmarktorientierte Unternehmen, Versicherungen, Banken, Wirtschaftsprüfer und ihre Verbände angehören) oder die ISA-Normen (International Standards on Auditing des IFAC), sowie die Regeln der Wirtschaftsprüfer berufsständische Gebilde darstellen. Es sind keine öffentlichen Institutionen. Sie entziehen sich der gesellschaftlichen Einflussnahme und Kontrolle.

Weiterhin muss das Schweigegebot der Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsbehörden fallen. Die Öffentlichkeit muss erfahren, wenn bei der Bilanz etwas nicht stimmt. Die Wirtschaftsprüfer müssen von sich aus sofort den Aufsichtsrat und die staatlichen Stellen bei Verdachtsfällen auf Betrug informieren.

Bei allem gilt: nur die Geldflüsse zu kontrollieren, ist nicht ausreichend. Es geht seit langem um nachhaltige Wertschöpfung (das ist etwas anderes als der Gewinn für die Anteilseigner), den Nutzen für Kunden und Gesellschaft und einen Beitrag der Unternehmen (Purpose) zum vom Grundgesetz geforderten Gemeinwohl. Eine gesetzliche Vorgabe für Vorstände und Aufsichtsräte für eine Unternehmensführung im „nachhaltigen Unternehmensinteresse“ und ihrer Kontrolle fehlt im Aktien- wie GmbH-Gesetz. Darüber sollte die Generation, die heute die Zukunft gestaltet, nicht nur nachdenken, sondern verantwortungsvoll zur Tat schreiten.


Dietmar Hexel war von 2005 (Gründung der DPR e.V.) bis 2015 einer der sieben Mitglieder im Nominierungsausschuss der DPR, der das Präsidium bestellt und die Prüfer auswählt. Weiterhin gehörte er bis 2016 als ehemaliges geschäftsführendes Mitglied des DGB-Bundesvorstandes 10 Jahre lang der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) an. Er war Mitglied mehrerer Aufsichtsräte und arbeitet heute als unabhängiger Business Coach und Berater für Führungspersonen, Aufsichts- und Betriebsräte.

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