Der Fiskus gewährt über eine Verwaltungsregelung (BMF-Schreiben vom 26.02.2021) die wahlweise Unterstellung einer nur einjährigen betriebsgewöhnlichen Nutzugsdauer für digitale Güter (im Schreiben genannte Arten von Hard- und Software) in der steuerlichen Gewinnermittlung. Wird die einjährige Nutzungsdauer zugrunde gelegt, führt dies zur sofortigen Betriebsausgabe und Gewinnminderung. Bereits an anderer Stelle hatte Herold im Blog die steuerliche Sonderregelung kritisch beleuchtet. Nun hat das IDW sich mir den handelsbilanziellen Folgen einer Nutzung des Sofortabzugs auseinandergesetzt.
Naheliegend ist die Frage, ob diese Unterstellung einer einjährigen Nutzungsdauer auch in der Handelsbilanz möglich ist? Mit der glücklichen Abschaffung der umgekehrten Maßgeblichkeit ist die einfache Übernahme steuerlicher Wahlrechte in den handelsrechtlichen Abschluss nicht mehr möglich. Nur wenn handelsrechtliche Regelungen bzw. die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung dies ermöglichen würden, könnte eine Übernahme erfolgen.
Das HGB sieht bei abnutzbaren Anlagegegenständen eine planmäßige Abschreibung über die Nutzungsdauer dieser Vermögensgegenstände vor. In der Praxis kommt hier einerseits die Orientierung an der tatsächlich betriebsindividuell erwarteten Nutzungsdauer in Betracht. Diese leitet sich idealerweise aus Erfahrungswerten ab. Andererseits wird auf die von der Finanzverwaltung in den AfA-Tabellen angenommene betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer abgestellt. Bei der nun von der Finanzverwaltung geschaffenen Fiktion einer Nutzungsdauer von einem Jahr für Hard- und Software handelt es sich jedoch nicht um eine begründete betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer. Die fiktive Nutzungsdauer von einem Jahr wird in der Regel den tatsächlichen Verhältnissen zuwiderlaufen. Damit ist eine Übernahme der Nutzungsdauer in den handelsrechtlichen Jahresabschluss grundsätzlich nicht möglich.
Ausnahmsweise kann jedoch mit der Begründung der (Un-)Wesentlichkeit eine sofortige Aufwandsverrechnung entsprechend der GWG-Regelungen in Betracht kommen. Dafür bedarf es jedoch nicht des BMF-Schreibens, sondern dies ist nach h.M. ohnehin im Rahmen der Übernahme der steuerlichen GWG-Regelungen in den handelsrechtlichen Abschluss möglich, soweit dies nicht zu einer wesentlichen Abweichung von den tatsächlichen Verhältnissen führt. Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Wesentlichkeit wird handelsbilanziell die Einordnung der Vermögensgegenstände mit Anschaffungskosten von bis zu 1.000 € als GWG teils schon länger als unproblematisch angesehen, während das IDW auf den Betrag von 800 € verweist.
Wird oberhalb der GWG-Grenze steuerlich auf die Fiktion einer Nutzungsdauer von einem Jahr zurückgegriffen und handelsrechtlich über die längere tatsächliche oder betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer nach AfA-Tabelle abgeschrieben, kommt es zu einem Auseinanderfallen von Handels- und Steuerbilanzwert, wobei der Umkehreffekt über die nachlaufende handelsrechtliche Abschreibung eintritt. Mithin sind im Anwendungsbereich von § 274 HGB passive latente Steuern zu bilden.
Das IDW vertritt auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 274 HGB, etwa bei typischen, d.h. nicht haftungsbeschränkten, Personenhandelsgesellschaften, die Auffassung, auch hier seien passive latente Steuern zu bilden. Dabei wird auf IDW RS HFA 7.26 f. verwiesen: „Wenn Differenzen zwischen den handelsrechtlichen Wertansätzen von Vermögensgegenständen, Schulden und Rechnungsabgrenzungsposten und den korrespondierenden steuerlichen Wertansätzen bestehen, deren Abbau künftig voraussichtlich zu einer Steuerbelastung führt, begründet dies zum Abschlussstichtag eine wirtschaftliche Belastung des handelsrechtlich ausgewiesenen Gesamthandsvermögens.“
Dieser weiten Auffassung des IDW ist generell entgegenzuhalten, dass eine Pflicht zum Ansatz einer Rückstellung für passive latente Steuer außerhalb des Anwendungsbereichs von § 274 HGB nur dann ausnahmsweise begründet ist, wenn die Schuld- bzw. Rückstellungskriterien erfüllt sind. Hier bestehen jedoch bei vielen Anwendungsfällen für passive latente Steuern nach § 274 HGB erhebliche Zweifel.
Einerseits fehlt es am Vorliegen einer aktuellen Außenverpflichtung. Und selbst wenn man vom künftigen Entstehen einer Steuerzahlungsverpflichtung ausgeht, scheint es doch vielfach, auch im Falle der Nutzung der fiktiven einjährigen Nutzungsdauer, nicht nur offensichtlich an der rechtlichen Verursachung, sondern auch an der wirtschaftlichen Verursachung einer Verpflichtung zu fehlen, sofern von dieser überhaupt auszugehen ist. Die künftige Steuerentstehung resultiert aus der künftigen Erwirtschaftung steuerlicher Überschüsse, was gegen eine wirtschaftliche Verursachung bereits im Entstehungszeitpunkt einer durch Nutzungsdauerunterschiede ausgelösten Differenz zwischen Handels- und Steuerbilanz spricht. Eine abstrakte „wirtschaftliche Belastung des handelsrechtlich ausgewiesenen Gesamthandsvermögens“ reicht danach nicht für eine Erfüllung des Kriteriums der wirtschaftlichen Verursachung aus. Damit dürfte ich mich allerdings wieder einmal mit meiner Mindermeinung wohlfühlen.
Weitere Informationen:
BMF-Schreiben vom 26.02.2021, IV C 3 – S 2190/21/10002 :013 (BStBl. I S. 298) (datenbank.nwb.de)
Herold, Nutzungsdauer von PCs beträgt nur noch ein Jahr – was richtet das BMF damit nur an? (nwb-experten.blog.de)
IDW, Berichterstattung des Fachausschusses Unternehmensberichterstattung (FAB) über eine außerordentliche Sitzung am 16.03., Sofortabschreibung sog. digitaler Vermögensgegenstände in der Handelsbilanz (Zugriff im Mitgliederbereich des IDW, soll demnächst in den Fachlichen Hinweise „Zweifelsfragen zu den Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus auf die Rechnungslegung und deren Prüfung (Teil 3)“ aufgenommen werden)
IDW RS HFA 7, Handelsrechtliche Rechnungslegung bei Personenhandelsgesellschaften