Aktuell wird im Angesicht der enormen Corona-Finanzierungslasten eine intensive politische Diskussion über die Grenzen der Bundesverschuldung geführt. Warum an der Schuldenbremse des Grundgesetzes (Art. 109 GG) festgehalten werden sollte.
Hintergrund
Die sog. Schuldenbremse (Art. 109 GG) wurde 2009 wurde von der Föderalismuskommission beschlossen, sie gilt seit 1.1.2011: „Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.“ Während die Länder gar keine neuen Schulden machen dürfen, gilt für den Bund eine Neuverschuldungsgrenze nach Art. 115 GG: Hiernach darf die strukturelle Neuverschuldung des Bundes 0,35 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) grundsätzlich nicht überschreiten. Hierbei werden konjunkturelle Schwankungen berücksichtigt: In schlechten Zeiten vergrößert sich der Kreditspielraum, bei Hochkonjunktur muss die Nettokreditaufnahme sinken.
Überschritten werden dürfen die Kreditobergrenzen nur mit mehrheitlicher Zustimmung des Bundestages unter engen Voraussetzungen: im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen (Art. 115 Abs. 2 S.6 GG).
Aktuelle Verschuldungssituation und Diskussionsstand
Die Corona-Krise und die damit verbundenen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen hat die öffentliche Neuverschuldung in 2020 förmlich explodieren lassen: Die Summe haushaltswirksamer Maßnahmen 2020 mit einem Volumen von rund 507 Mrd. Euro, davon der weitaus größte Teil Ausgaben für die Bewältigung der Corona-Pandemie, hat mit rund 131 Mrd. Euro Neuverschuldung ein tiefes Loch in den Haushaltssaldo 2020 des Bundes gerissen.
Deswegen ist mit dem Nachtragshaushaltsgesetz 2020 (v. 27.3.2020 BGBl. I 2020, S. 556) die Schuldenbremse des Art 115 GG unter Verweis auf Art 115 Abs. 2 S.6 GG außer Kraft gesetzt worden. Am 8.12.2020 hat der Bundestag die Schuldenbremse auch für das Wirtschaftsjahr 2021 ausgesetzt (Haushaltsgesetz 2021 v. 21.12.2020, BGBl I 2020 S. 3208), für 2021 sind (bereinigt) neue Schulden im Volumen von rund 184 Mrd. Euro geplant, die überwiegend zur Finanzierung des Corona-Konjunkturpakets und des Wirtschaftsstabilisierungsfonds eingesetzt werden sollen.
Am 26.1.2021 hat der Kanzleramtsminister die Diskussion entfacht, ob die im GG verankerte Schuldenbremse nicht ausgesetzt werden, Steuererhöhungen ausgeschlossen und Sozialbeiträge gedeckelt werden sollten. Dazu müsste mit Zwei-Drittel-Mehrheit das GG geändert werden. In Regierungskreisen und in der Opposition regt sich bereits Widerstand, auch unter Ökonomen gibt es kein eindeutiges Meinungsbild. Am 28.1.2021 will sich der Bundestag mit der Diskussion über die „Aufweichung der Schuldenbremse“ befassen.
Bewertung
Was ist von einer längerfristigen Verabschiedung der Schuldenbremse und Änderung des GG zu halten? Richtig ist, dass die deutsche Volkswirtschaft an den Folgen der Corona-Pandemie noch länger „zu knapsen“ haben wird. Deshalb ist auch richtig, dass der Nach-Corona-Aufschwung gefährdet würde, wenn bereits ab 2022 Sparprogramme und womöglich Steuererhöhungen umgesetzt würden, nur um der Einhaltung der Schuldenbremse Willen.
Gegen eine grundgesetzliche Modifikation der Schuldenbremse spricht allerdings, dass Deutschland sich nicht auf einer finanzpolitischen Insel bewegt, sondern Teil des europäischen Fiskalpaktes ist. Nach den EU-Stabilitätskriterien wäre ein Schuldenstand von höchstens 60 Prozent des BIP zulässig, ein Kriterium, das Deutschland – der Schuldenbremse sei Dank – erstmals seit 2002 im Wirtschaftsjahr 2019 einhalten konnte. Würde man also die Schuldenbremse mehrjährig durch GG-Änderung aussetzen, wäre die Einhaltung der EU-Stabilitätskriterien langfristig in Frage gestellt. Hinzukommt, dass die Wiedereinführung der jetzt geltenden Schuldenbremse abermals einer GG-Änderung mit Zwei-Drittel-Mehrheit bedürfte. Besser ist deshalb, die Flexibilität der jetzigen Regelung in Art. 115 Abs. 2 S.6 GG („außergewöhnliche Notsituation“) zu nutzen, weil niemand die weitere wirtschaftliche Entwicklung in 2022 zuverlässig vorhersagen kann und somit ungewiss ist, ob ein abermaliger Dispens von der Schuldenbremse durch den Bundestag erforderlich wird.
„Fahren auf Sicht“ muss jetzt also die Devise lauten – Finger weg von der Schuldenbremse!
Quellen