Ich habe mich schon wiederholt zu diesem Thema zu Wort gemeldet: Steuernachforderungen und Steuererstattungen sind nach § 233a AO zu verzinsen, und zwar ab dem 15. Monat nach Ende des Veranlagungszeitraums in Höhe von 0,5 %/Monat (§ 238 AO). Im Aussetzungsbeschluss des BFH vom 25.04.2018 (IX B 21/18) hat der IX. BFH-Senat für Zinszeiträume ab 01.04.2015 erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinssatzhöhe von 6 %/Jahr geäußert und die Aussetzung der Vollziehung beschlossen. Jetzt blicken alle gespannt nach Karlsruhe zum Bundesverfassungsgericht: Dort sind schon zwei Verfahren zur Zinshöhe anhängig (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17), über die dem Vernehmen nach noch in diesem Jahr entschieden werden soll. Fällt der gesetzliche Zins, der in keine Weise mehr den Marktgegebenheiten entspricht?
Politischer Änderungsdruck nimmt zu
Inzwischen nimmt auch der politische Druck auf den Gesetzgeber von der Länderseite weiter zu: Zunächst hatte die FDP-Fraktion im Bundestag eine Senkung der Nachzahlungs- und Erstattungszinsen in Höhe von aktuell 6 %/Jahr und eine Koppelung an den Referenzzinssatz gefordert (BT-Drucks. 19/2579). Das hat die Bundesregierung aber Ende Juni 2018 abgelehnt (BT-Drucks. 19/2766). Im Juli hat sich im Bundesrat der Freistaat Bayern für die umgehende Absenkung des gesetzlichen Zinssatzes (§ 238 Abs. 1 S. 1 AO) von 0,5 auf 0,25 %/Monat ausgesprochen (BR-Drucksache 324/18), weil ein Zuwarten auf die BVerfG-Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes ist aufgrund des nunmehr verfestigten, extrem niedrigen Marktzinses nicht mehr vertretbar sei.
Halbieren statt Kassieren: Jetzt will auch das Land Hessen im Bundesrat die Finanzamtszinsen halbieren (BR-Drucksache 396/18 v. 21.9.2018) und den Steuerzahler um fast eine Milliarde Euro pro Jahr entlasten, bevor das BVerfG den Staat zum Handeln zwingt. Das verdient Beifall, denn in einer anhaltenden Niedrigzinsphase sollte der Gesetzgeber seine vor fast 50 Jahren getroffene Typisierungsentscheidung zur Zinssatzhöhe endlich überdenken und sich nicht noch zusätzlich bereichern.
Kommt ein marktreagibler, variabler Zinssatz?
Hessen geht jetzt aber noch einen Schritt weiter und sieht in der Halbierung des Zinses „nur den ersten, längst überfälligen Schritt“. Deshalb hat Hessen im Bundesrat zusätzlich einen Entschließungsantrag mit dem Ziel vorgelegt, langfristig den Zinssatz an das jeweils herrschende Zinsniveau anzupassen (BR-Drucks. 397/18). Ergebnis wäre ein variabler Zinssatz, gewissermaßen ein „Zinssatz auf Rädern“. Um einen solchen marktreagiblen Zinssatz für die Verzinsung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis zu realisieren, der sich am Basiszins des § 247 BGB orientieren könnte, müssen allerdings in der Finanzverwaltung erst die technischen Voraussetzungen geschaffen werden. Denn im aktuellen IT-Verzinsungsverfahren muss der anzuwendende Zinssatz für alle Steuernachzahlungen und -erstattungen eines Veranlagungsjahres einheitlich sein. Im Rahmen der digitalen Anpassungsprozesse in der Finanzverwaltung soll es – so der Entschließungsantrag – ab dem Jahr 2022 möglich sein, die Zinsen für unterschiedliche Zinsjahre anhand jahresspezifischer Zinssätze marktgerecht zu berechnen. Ein variabler „Zinssatz auf Rädern“ – das wäre meines Erachtens ein Quantensprung, der beim Steuerbürger auf Akzeptanz stoßen und für gerechtere Zinsen sorgen würde.
Weitere Informationen:
BR-Drucksachen 396/18 und 397/18 vom 21.9.2018
BFH v. 25.04.2018 – IX B 21/18
Verfahrensverlauf | BVerfG – 1 BvR 2237/14 – anhängig seit 23.05.2018
Verfahrensverlauf | BVerfG – 1 BvR 2422/17 – anhängig seit 23.05.2018
Wenn ich mir nur die Daten anschaue und lese dann „im Juni von der Bundesregierung abgelehnt“, dann wird mir mal wieder schlecht. Lebt unsere Bundesregierung auf Wolke 7 und bekommt hier nichts mit. Hallo, die Bewegung ist eine andere, als Ihr sie haben möchtet. Aber nicht, dass man sich darauf einstellt, da kann das BVerfG beschließen, was es will …: Wir machen doch, was wir wollen!!! Ebenso ist es ja mit der Diätenerhöhung. Ich habe nichts dagegen und es geht auch nicht um eine Neiddebatte, … nur müssten die Bundestagsabgeordneten gegenüber ihren Finanzämtern ebenso abrechnen, wie es der Normalbürgen lt. Gesetz auch muss. Ich glaube fest daran, dass wir dann andere Gesetze hätten. Spätrömische Dekadenz … für den Kaiser trifft das Gesetz nicht zu?
Karl-Heinz Meyer