Seit dem BFH-Verdikt vom April 2018 schwelt der Streit um die Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Finanzamtszinsen (§ 238 AO). Jetzt das hat das FG Hamburg (v. 31.1.2019 – 2 V 112/18) noch eins draufgesetzt: Es hat den Abzinsungszinssatz von 5,5 % (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG) beanstandet und deshalb vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abzinsung von Verbindlichkeiten gewährt.
Kurzer Rückblick
Ich habe dazu mehrfach berichtet: In einer anhaltenden Niedrigzinsphase sind die in den Steuergesetzen festgelegten typisierenden Zinssätze von 6 % (§ 238 AO und § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG) bzw. von 5,5 % (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG) zunehmend in die Kritik geraten, weil sie durch ihre „realitätsferne Bemessung“ den Bezug zum langfristigen Marktzinsniveau verloren haben. Beim Bundesverfassungsgericht sind verschiedene Verfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Zinssätze anhängig (2 BvR 2706/17, 2 BvL 22/17, 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17). Politische Vorstöße zur Änderung der geltenden Zinssätze sind bislang ohne Erfolg geblieben (BR-Drucks. 396/18, 397/18 vom 21.9.2018).
Der BFH hat mit seinen viel beachteten Beschlüssen v. 25.4.2018 – IX B 21/18 und v. 3.9.2018 – VIII B 15/18 bezogen auf § 233a AO Aussetzung der Vollziehung (AdV) gewährt wegen „schwerwiegender verfassungsrechtlicher Zweifel“ an der Zinshöhe von 6 % nach § 233a AO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO. Auch die Verwaltung setzt inzwischen seit Ende 2018 auf Antrag die Vollziehung von Zinsbescheiden für Verzinsungszeiträume ab dem 1.4.2012 aus.
Hintergrund und Inhalt der Entscheidung
Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG werden unverzinsliche, langfristige Verbindlichkeiten, deren Laufzeit am Bilanzstichtag mehr als zwölf Monate beträgt und die nicht auf einer Anzahlung oder Vorauszahlung beruhen, mit einem Zinssatz von 5,5 % abgezinst. Dieses seit 1.1.1999 geltende Abzinsungsgebot soll dem Umstand Rechnung tragen, dass unverzinsliche Geldleistungsverpflichtungen weniger belastend sind als marktüblich verzinste Schulden; die Abzinsung beruht also auf der Vorstellung, dass eine erst in der Zukunft zu erfüllenden Verbindlichkeit weniger belastet als eine sofortige Leistungspflicht. Deshalb gebieten sie eine Abzinsung auf den niedrigeren Teilwert. Auch im Streitfall lag eine verzinsliche Verbindlichkeit i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG vor. Den schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifel an der Zinshöhe erstreckt das FG Hamburg nunmehr aber auch auf die Verfassungsmäßigkeit des Abzinsungszinssatzes in Höhe von 5,5 %: In einer anhaltenden Niedrigzinsphase habe dieser „typisierende“ Zinssatz den Bezug zum langfristigen Zinsniveau verloren, stellt das Gericht fest. Bemerkenswert: Das FG Hamburg kommt zu dieser Einschätzung bereits im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, räumt dem Interesse des Steuerpflichtigen also den Vorrang vor dem öffentlichen (fiskalischen) Vollzugsinteresse ein.
Fazit
Was ist aus der Entscheidung zu lernen? Jedenfalls, dass in den Steuergesetzen „typisierend“ festgesetzte Zinssätze, die mit dem aktuellen Marktzinsniveau nicht mehr annähernd etwas zu tun haben, vor den Finanzgerichten keine Gnade mehr finden und wegen verfassungsrechtlicher Zweifel beanstandet werden. Hieraus sollte die Politik endlich die erforderlichen Schlüsse ziehen und die gesetzlichen Zinssätze in den Steuergesetzen auf den Prüfstand stellen. Auch wenn die Entscheidung des FG Hamburg nicht rechtskräftig ist und das Gericht ausdrücklich die Beschwerde zum BFH zugelassen hat: Auf die Entscheidung des Gerichts berufen sollten sich Steuerpflichtige in Vergleichsfällen allemal.
Weitere Informationen:
- FG Hamburg v. 31.1.2019 – 2 V 112/18 (Pressemitteilung FG Hamburg 2/2019 v. 5.2.2019)
- BFH v. 25.04.2018 – IX B 21/18
- BFH v. 03.09.2018 – VIII B 15/18 -nv-
Lesen Sie hierzu auch meinen Beiträge hier im NWB Experten-Blog: