Mit Beschlüssen vom 11.12.2019 (XI R 16/18) und vom 07.05.2020 (V R 40/19) haben die beiden Umsatzsteuersenate des BFH dem EuGH eine zentrale Frage zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft vorgelegt: wer schuldet im Rahmen der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft die Umsatzsteuer? Der Organträger, wie es § 2 Abs. 2 Nr. 2 S.1 UStG bestimmt, oder der Organkreis (die sog. Mehrwertsteuergruppe)?
Diese Frage ist von grundlegender Bedeutung. Sollte die deutsche Regelung gegen das Unionsrecht verstoßen und damit der Organträger nicht Steuerschuldner für die Umsätze des Organkreises sein, sind alle gegen diesen erlassenen Steuerbescheide insoweit rechtswidrig. Jeder Organträger hätte einen Anspruch auf Erstattung der Umsatzsteuer, die er für den Organkreis abgeführt hat. Die Tragweite einer solchen Konsequenz würde einen Bauträger 2.0 Fall auslösen.
Zum Hintergrund:
Der EuGH hat im Urteil Skandia America (EuGH, Urt. v. 17.09.2014 – Rs. C-7/13) entschieden, dass im Fall der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft der Organkreis (die sog. Mehrwertsteuergruppe) der Steuerschuldner ist. Steuerschuldner sind danach nicht die einzelnen Mitglieder des Organkreises, sondern das zivilrechtlich nicht existente Konstrukt der „Mehrwertsteuergruppe“. Ob dies jedoch zwingend bedeutet, dass es unionswidrig ist, den Organträger zum Steuerschuldner zu bestimmen, ist umstritten. Vor diesem Hintergrund kommt den Ausführungen der Generalanwältin beim EuGH Medina im ersten Vorlageverfahren nunmehr erhebliche Bedeutung zu.
Ausführungen der Generalanwältin
In Ihren Schlussanträgen vom 13.01.2022 (Rs. C-141/20) führt die Generalanwältin nunmehr aus, dass die Regelungen zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft „dahin auszulegen [sind], dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die nur das die Gruppe beherrschende Mitglied [Organträger] unter Ausschluss der übrigen Mitglieder der Gruppe als Vertreter der Mehrwertsteuergruppe und als Steuerpflichtigen dieser Gruppe bestimmt.“ Diese Aussage hat erhebliche Sprengkraft. Stimmt der EuGH den Ausführungen der Generalanwältin zu, bedeutet dies, dass der Organträger tatsächlich nicht Steuerschuldner im Rahmen der Organschaft sein kann, sofern sich der Organträger insoweit unmittelbar auf das für ihn günstigere Unionsrecht berufen kann. Da die Steuer nach dem klaren Gesetzeswortlaut von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht von den Organgesellschaften geschuldet wird, droht ein Bauträgerfiasko 2.0.
Beratungsansatz
Unternehmer und Berater sind spätestens nach Ergehen der Schlussanträge angehalten, die entsprechenden Umsatzsteuer-Festsetzungen beim Organträger offen zu halten (Einspruch, Vorbehalt der Nachprüfung, evtl. Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit). Zur Begründung genügt ein Verweis auf die anhängigen Verfahren beim EuGH. Durch die Schlussanträge ist ein – zumindest für die Unternehmer – positives Ergebnis nämlich deutlich näher gerückt. Es bleibt nun lediglich abzuwarten, ob sich der EuGH der Auffassung der Generalanwältin anschließt.
Sehr geehrter Herr Hammerl,
ich habe eine Frage zu Ihrem Beitrag.
Hat man die Verfahren in der Praxis offengehalten kommt, so habe ich es in meinem Fall erlebt, kommt die Finanzverwaltung sehr zeitnah mit § 174 Abs. 5 AO und zieht die Organgesellschaft zum Verfahren hinzu.
Droht nicht eventuell von dieser Seite dann „Gefahr“ für die Organgesellschaft?
Über ein kurzes Statement Ihrerseits würde ich mich sehr freuen.
Auch im Parallelverfahren liegt nur der Schlussantrag der Generalanwältin Laila Medina vor.
https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=252842&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1
Die Tz. 41 und 42 sind sehr lesenswert.