Viele Zeit- bzw. Leiharbeitnehmer sind der Auffassung, dass sie ihre Fahrtkosten zum jeweiligen Tätigkeitsort nach Dienstreisegrundsätzen geltend machen und gegebenenfalls sogar Mehraufwendungen für Verpflegung abziehen können. Naturgemäß hat die Finanzverwaltung dazu eine ganz eigene Meinung und lässt in den meisten Fällen lediglich die Entfernungspauschale und schon gar keine Verpflegungsmehraufwendungen zum Abzug zu.
Allerdings ist die Rechtslage auch schwierig – und durch die Neuregelung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG), die seit dem 1.4.2017 gilt, wird es noch komplizierter. Jedoch könnte sich ebenjene Neuregelung für unzählige Leiharbeitnehmer in steuerlicher Hinsicht auszahlen, denn wenn man der Auffassung des FG Düsseldorf in einem aktuellen Urteil folgt, könnten viele Betroffene ihre Fahrtkosten nun nach Reisekostengrundsätzen geltend machen (Urteil vom 20.11.2024, 15 K 1490/24 E). Doch der Reihe nach.
Zunächst zum Hintergrund:
Der Betrieb des Entleihers ist die erste Tätigkeitsstätte, wenn Leiharbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber einer betrieblichen Einrichtung des Kunden dauerhaft zugeordnet sind. Von einer dauerhaften Zuordnung zum Entleiher ist dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder von vornherein über einen Zeitraum von 48 Monaten an einer Tätigkeitsstätte tätig werden soll (§ 9 Abs. 4 Satz 3 EStG). Bei Leiharbeitnehmern, die in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zum Verleiher stehen, hat der BFH entschieden, dass bei nur befristeten Einsätzen im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses keine dauerhafte Zuordnung zur Entleihfirma und damit dort keine erste Tätigkeitsstätte besteht (BFH-Urteil vom 12.5.2022, VI R 32/20).
Für die Beurteilung, ob eine dauerhafte Zuordnung vorliegt, ist eine auf die Zukunft gerichtete Prognose (Ex-ante-Betrachtung) maßgebend und nicht die rückwirkende Betrachtung. So ist beispielsweise im Falle einer unbefristeten Versetzung an einen anderen Ort und einer absehbaren Verweildauer von vier Jahren von einer regelmäßigen Arbeitsstätte bzw. ersten Tätigkeitsstätte auszugehen, bei wiederholter befristeter Zuweisung des Arbeitnehmers an einen anderen Betriebsteil des Arbeitgebers dagegen nicht (BFH-Urteil vom 8.8.2013, VI R 59/12).
Mit meinen eigenen Worten und etwas vereinfacht ausgedrückt: Ist von vornherein klar, dass der Leiharbeitnehmer recht lange bei einer einzigen Entleihfirma eingesetzt wird, darf er seine Fahrtkosten – nach Ansicht der Finanzverwaltung – nur mit der Entfernungspauschale geltend machen.
Doch kann es nach einer Gesetzesänderung überhaupt noch „lange Einsatzzeiten“ bei einer einzigen Entleihfima geben? Nach § 1 Abs. 1b AÜG, der seit dem 1.4.2017 gilt, darf der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer nämlich nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen. Und der Entleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden lassen. Das Ganze gilt, soweit nicht in Tarifverträgen eine andere Überlassungshöchstdauer festgelegt ist.
Das Urteil des FG Düsseldorf:
Das FG Düsseldorf hat zugunsten eines Arbeitnehmers wie folgt entschieden: Die Begrenzung der Überlassung von Leiharbeitnehmern auf 18 aufeinander folgende Monate gemäß der Regelung des § 1 Abs. 1b AÜG führt dazu, dass sich ein Arbeitnehmer nicht verlässlich auf seine Wegekosten einrichten und diese auf Dauer geringhalten kann. Folglich sind die Fahrten zum Betrieb des Entleihers nicht nur mit der Entfernungspauschale, sondern mit 0,30 Euro je gefahrenem Km zu berücksichtigen (FG Düsseldorf, Urteil vom 20.11.2024, 15 K 1490/24 E).
Der Kläger war vom 16.8.2021 bei einem Personaldienstleister tätig, der ihn sofort an einen anderen Betrieb entliehen hat. Die Dauer des Einsatzes war nicht festgelegt („Ende offen“). Letztlich wurde der Kläger – mit einer kurzen Unterbrechung – von Mitte August 2021 bis Ende 2023 bei dem Entleiher eingesetzt. Das Finanzamt berücksichtigte die Fahrtkosten des Klägers nur mit der Entfernungspauschale. Der Sitz des Entleihers sei die erste Tätigkeitsstätte des Klägers, weil er dort dauerhaft und somit unbefristet zugeordnet gewesen sei. Das ergebe sich aus der Formulierung in der Einsatzanweisung mit „Ende offen“. Der Kläger hingegen wollte die Fahrtkosten als Reisekosten abziehen. Die betriebliche Einrichtung des Entleihers stelle nicht die erste Tätigkeitsstätte dar. Ungeachtet seiner Zuordnung dorthin fehle es an deren Dauerhaftigkeit i. S. von § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG. Denn die Überlassungsdauer sei nach § 1 Abs. 1b AÜG in der ab 1.4.2017 geltenden Fassung auf höchstens 18 Monate begrenzt; vorherige Überlassungen an denselben Entleiher seien nur dann einzubeziehen, wenn nicht zwischen den Einsätzen mehr als drei Monate lägen. Zwar könne ein Tarifvertrag eine abweichende Überlassungshöchstdauer regeln; das sei bei den hier einschlägigen Tarifverträgen jedoch nicht der Fall. Die Richter des FG Düsseldorf sind der Auffassung des Klägers gefolgt.
Das Urteil des FG München
Zuvor hatte sich bereits das FG München mit dem Thema befasst, aber zugunsten der Finanzverwaltung entschieden. Der – möglicherweise – wichtige Unterschied zum Fall des FG Düsseldorf: Der Arbeitsvertrag mit dem Leiharbeitnehmer war bereits vor dem Inkrafttreten der Neuregelung durch das AÜG geschlossen worden. In dem Düsseldorfer Fall hingegen galt die Begrenzung der Überlassungsdauer auf 18 Monat schon, als das Leiharbeitsverhältnis begann (FG München, Urteil vom 21.3.2023, 6 K 1233/20).
Denkanstoß:
Wenn man der seit dem 1.4.2017 geltenden arbeitsrechtlichen Sichtweise auch steuerlich folgt, könnten wesentlich mehr Leiharbeitnehmer als bislang die Fahrtkosten nach Reisekostengrundsätzen abziehen. Interessierte sollten sowohl das Urteil des FG München als auch das Urteil des FG München aufmerksam studieren, auch wenn die Urteilstexte nicht leicht verdaulich sind. Betroffene sollten sich gegen ablehnende Steuerbescheide wehren und gegebenenfalls ein Ruhen ihrer eigenen Einspruchsverfahren beantragen, denn in beiden Fällen wurde die Revision zugelassen (im Münchner Fall erst nach einer NZB). Die Az. lauten VI R 32/24 und VI R 22/23.