EuGH rügt systematische Zurückweisung unvollständiger MwSt-Erstattungsanträge

Wer meine Blog-Beiträge aufmerksam liest, wird feststellen, dass ich nicht nur, aber doch insbesondere die Auslegung und Handhabung des Umsatzsteuerrechts durch die deutsche Finanzverwaltung kritisiere. Erst kürzlich habe ich im Aufreger des Monats November auf das sprachliche Desaster der Gesetzesbegründung zum Mehrwertsteuer-Digitalpaket verwiesen. Gerade heute Morgen sagte mir ein gestandener Umsatzsteuerrechtler zu der Gesetzesbegründung: „Ich habe kein Wort verstanden.“

Nun gut, ich bin ein kleines Lichtlein im Steuerrechtsgefüge und auch wenn meine Blog-Beiträge gelesen werden, so hege ich wenig Hoffnung, dass die Beteiligten sich die Kritik zu Herzen nehmen werden.

Ganz anders, wenn der EuGH zum Zuge kommt. Ich will es kurz machen: Der EuGH liest der deutschen Finanzverwaltung in Sachen „MwSt-Erstattungsanträge“ gehörig die Leviten. Worum geht es?

Bei der Europäischen Kommission war eine Beschwerde über die Verfahrensweise der deutschen Steuerbehörden bezüglich der Mehrwertsteuer-Erstattung an EU-Ausländer eingegangen. Zahlreiche Erstattungsanträge sind abgelehnt worden, weil die Beschreibung von gemeldeten erworbenen Gegenständen oder erbrachten Dienstleistungen als unzureichend oder nicht angemessen angesehen worden sei, ohne dass die Behörden zunächst versucht hätten, den Sachverhalt aufzuklären. Konkret sind Anträge auf Erstattung der Mehrwertsteuer abgelehnt worden, die vor dem jeweils maßgebenden 30. September gestellt wurden, denen aber nicht die Kopien der Rechnungen oder der Einfuhrdokumente beigefügt worden sind. Die Ablehnung erfolgte mithin aus (deutschen) verfahrensrechtlichen Gründen, nicht aber aus materiell-rechtlichen Gründen, auf die der EuGH zunehmend abstellt.

In 2016 richtete die Kommission ein Aufforderungsschreiben an die Bundesrepublik Deutschland, in dem sie rügte, dass Deutschland die Rechte der Inhaber eines Anspruchs auf Erstattung der Mehrwertsteuer verletzt habe und durch die Verwaltungspraxis seiner Steuerbehörden weiterhin verletze. In dem genannten Aufforderungsschreiben wies die Kommission darauf hin, dass der Mitgliedstaat der Erstattung in dem Fall, dass seines Erachtens der Antragsteller eine unvollständige oder unzureichende Erklärung abgegeben habe, zusätzliche Informationen oder Belege anfordern müsse, bevor er einen Erstattungsantrag abweise. Daher verstoße die systematische Ablehnung (!) der Anträge auf Erstattung der Mehrwertsteuer wegen Unvollständigkeit der genannten Informationen gegen EU-Recht.

Nunmehr hat der EuGH weitestgehend im Sinne der Kommission wie folgt geurteilt, wobei man mir nachsehen mag, dass ich hier den EuGH wörtlich zitiere (EuGH-Urteil vom 18.11.2020, C-371/19):

Nach alledem hat die Bundesrepublik Deutschland unter Verstoß gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer und die praktische Wirksamkeit des Anspruchs der nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässigen Steuerpflichtigen auf Erstattung der Mehrwertsteuer dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 170 und 171 der Richtlinie 2006/112 sowie aus Art. 5 der Richtlinie 2008/9 verstoßen, dass sie die Anträge auf Erstattung der Mehrwertsteuer abgelehnt hat, die vor dem 30. September des auf den Erstattungszeitraum folgenden Kalenderjahrs gestellt wurden, denen aber nicht die Kopien der Rechnungen oder der Einfuhrdokumente, die gemäß Art. 10 der Richtlinie 2008/9 von den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats der Erstattung verlangt werden, beigefügt sind, ohne die Antragsteller zuvor aufzufordern, ihre Anträge durch die – erforderlichenfalls nach diesem Zeitpunkt erfolgende – Vorlage dieser Kopien zu ergänzen oder sachdienliche Informationen vorzulegen, die die Bearbeitung dieser Anträge ermöglichen.

Schön ist übrigens folgender Satz aus dem Urteil, der ab sofort jeder Einspruchsbegründung bei der Versagung eines Erstattungs- bzw. Vorsteueranspruchs beigefügt werden sollte:

„Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass das Recht auf Vorsteuerabzug, und damit auch der Erstattungsanspruch, integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ist und grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann.“

Rahmen Sie sich diesen Satz ein.

Weitere Informationen:
EuGH v. 18.11.2020 – C-371/19

Ein Kommentar zu “EuGH rügt systematische Zurückweisung unvollständiger MwSt-Erstattungsanträge

  1. “Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass das Recht auf Vorsteuerabzug, und damit auch der Erstattungsanspruch, integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ist und grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann.”

    Das wird auch der Grund sein, warum die Zuordnung zum Unternehmensvermögens bis zum 31.07. des Folgejahres (welche sich nicht aus dem Gesetz ergibt) vor dem EUGH fallen wird.

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