Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass die deutsche Finanzverwaltung Tochter-Personengesellschaft nicht pauschal von der Anwendung der umsatzsteuerlichen Organschaft ausschließen darf. Das ist in der Praxis gerade dafür beliebte „Ehegattenmodell“ könnte nun zur Haftungsfalle werden. Oder?
Ein langer Weg…
Seit Ende der 1970er erkannte der BFH Tochterpersonengesellschaften nicht mehr als Organgesellschaft in einer umsatzsteuerlichen Organschaft an. Seitdem mehrten sich die Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Haltung. Ich selbst hatte mich 2013 in einem NWB-Beitrag für die Europarechtswidrigkeit der Regelung ausgesprochen. Ende 2015 änderte der V. Senat seine Auffassung und nahm sog. Eigen-Personengesellschaften wieder in den Organkreis auf. Davon waren alle Personengesellschaften erfasst, in denen der Organträger (mittelbar) sämtliche Anteile hielt.
Problematisch war diese Änderung der Rechtsprechung vor allem für die Ein-Mann-GmbH & Co. KG, die gar keine Organschaft bilden wollte. Zur Vermeidung der Organschaft standen im Wesentlichen zwei Lösungen bereit:
- Anstellung eines Fremdgeschäftsführer oder
- Aufnahme eines Minderheitsgesellschafters.
Da die erste Option gerade für Klein- und Familienbetriebe selten gangbar war, etablierte sich die Aufnahme von Minderheitsgesellschaftern, z.B. des Ehepartners. So stand man vermeintlich auf der sicheren Seite.
Das Problem: Kurz nach dem BFH-Urteil 2015 meldete der andere (XI.) Umsatzsteuersenat des BFH Zweifel an dieser Auslegung an. Nach meiner Lesart wollte der XI. Senat alle Personengesellschaften aufnehmen, soweit die Eingliederungsvoraussetzungen vorliegen. Hier im Blog hatte ich die Frage nach „Misstönen“ gestellt. Die Finanzverwaltung schloss sich derweil dem Urteil des V. Senats an und ergänzte den UStAE.
In dem Beitrag vor gut fünf Jahren hatte ich die Befürchtung geäußert, dass wir erst Jahre später eine Klärung zu der Frage bekommen werden. Gestern war es nun soweit. Auf Vorlage des FG Berlin-Brandenburg – passenderweise auch hier der fünfte Senat (Grüße gehen raus an meinen Ausbilder dort) – urteilte der EuGH. Danach verstößt die Verwaltungspraxis gegen das Unionsrecht. Tochter-Personengesellschaften dürften nicht pauschal aus einer Organschaft ausgeschlossen werden, nur weil der Organträger nicht (mittelbar) alle Anteile hält.
Praktische Konsequenzen?
Das Vermeidungsmodell „Minderheitsgesellschafter“ ist von dieser Entscheidung nun erkennbar betroffen. Allerdings dürften sich die praktischen Konsequenzen in Grenzen halten. Denn eine Beweislast für die Stimm- und Beteiligungsverhältnisse trifft die Steuerpflichtigen generell nur, wenn sie sich auf die Organschaft berufen wollen. Die Vermeidung der Organschaft ist hingegen der steuerbegründende Regelfall. Eine Beweisführung ist dafür regelmäßig entbehrlich. Auf Nummer sicher geht, wer die Entscheidung über die Beschlussfassung (Einstimmigkeits- vs. Mehrheitsprinzip) mit einem Änderungsvorbehalt in Schriftform versieht. Ist Einstimmigkeit vereinbart, schließt die Aufnahme eines Minderheitsgesellschafter die Organschaft definitiv aus.
Plädoyer für das Antragsmodell
Die Finanzverwaltung hat sich vor dem EuGH wenig begeistert von der Aufnahme aller Personengesellschaften in die Organschaft gezeigt. Problematisiert wurden hier vor allem die Beweisverhältnisse. Denn der Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft kann in puncto Beschlussfassung, und damit die Frage der finanziellen Eingliederung beim Organträger, auch mündlich geändert werden. Damit sind schwierige Streitfälle im Zweifel vorprogrammiert. Gut möglich also, dass der Gesetzgeber nun doch noch mal intensiver über eine Antragslösung für die Organschaft nachdenkt. Nicht umsonst wird eine solche praxisgerechte Lösung in der Fachwelt schon seit Jahren favorisiert. Der EuGH könnte nun den letzten Schubser gegeben haben.