Vor einer Stunde hat der EuGH seine Entscheidung zu den Anforderungen an die Rechnungsanschrift veröffentlicht. Das Urteil zur Briefkastenrechnung fällt nur auf den ersten Blick unternehmerfreundlich aus.
Wir hatten hier im Blog den Fall schon ausführlich diskutiert. Im Kern geht es um die Frage, ob eine Eingangsrechnung nur dann den Vorsteuerabzug vermittelt, wenn der Leistende in der Rechnung als Anschrift seinen Unternehmens(haupt)sitz angibt. Der EuGH hat das mit einem knappen „Nein“ beantwortet. Ein echtes Rechtsproblem konnte der Gerichtshof in den beiden zugrundeliegenden Vorabentscheidungsanfragen des BFH offenbar nicht ausmachen. Aus diesem Blickwinkel ist es dann auch folgerichtig, die Entscheidung gar nicht erst in die anderen Amtssprachen der Union übersetzen zu lassen.
Für die Kläger im Ausgangsstreit ist die Entscheidung mindestens ein Etappensieg. Was die allgemeinen Auswirkungen des Urteilsspruchs angeht, habe ich dagegen so meine Zweifel. Zunächst ist es aus wissenschaftlicher Sicht natürlich enttäuschend, dass der Gerichtshof mit diesem Tenor zu den ungleich interessanten Vorlagefragen (Stichwort: Vertrauensschutz, Vorsteuerabzug zweiter Klasse) nicht mehr Stellung beziehen musste. Das war so allerdings auch erwartet worden – immerhin sind hier die Schlussanträge des Generalanwalts sehr lesenswert.
Daneben halte ich die Entscheidung wenigstens für impraktikabel. Für die Finanzverwaltung war die Briefkastenanschrift in Fällen steuerlichen Missbrauchs bislang ein oft genutztes Argument zur Vorsteuerversagung. Damit dürfte es nun weitgehend vorbei sein. Etwas lapidar hält der EuGH insoweit fest, dass der Hauptsitz des Leistenden bei der Anmeldung geprüft werden könnte. Mit dem Arbeitsalltag in der Finanzverwaltung dürfte das kaum in Einklang zu bringen sein. Vielleicht sollte man verwaltungsseitig daher in Betracht ziehen, bei der steuerlichen Erfassung eines Unternehmens künftig in noch größerem Umfang Unterlagen anzufordern.
Und auch für die unternehmerische Praxis birgt die Entscheidung aus meiner Sicht ein beachtliches Risikopotential. Vor allem in grenzüberschreitenden Fällen kann eine „freie Adresswahl“ Probleme mit sich bringen. Zudem führt die Überprüfung der USt-IdNr. nur zu Vertrauensschutz, wenn die Adresse des Vertragspartners mit abgeglichen wird. Wie das funktionieren soll, wenn in der Rechnung die Anschrift der steuerlichen Registrierung nicht angegeben wird, ist mir erst einmal unklar.
Ich habe die Vermutung, dass man die Entscheidung des EuGH aus unternehmerischer Sicht allenfalls als Pyrrhussieg verbuchen kann.
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