Erstattungszinsen werden als Einkünfte aus Kapitalvermögen besteuert, es sei denn, sie gehören zu einer anderen Einkunftsart, etwa zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb – beispielsweise, weil sie im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer oder Gewerbesteuer stehen. Manchmal kommt es vor, dass Steuererstattungen und Erstattungszinsen mehrere Jahre betreffen, beispielsweise nach einer Betriebsprüfung oder nach langjährigen Gerichtsverfahren.
Die Frage ist, ob in diesem Fall die Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 1 EStG in Betracht kommt. Bislang haben die Finanzverwaltung und der BFH die Anwendung der Fünftel-Regelung abgelehnt.
Gegen eine Erstreckung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG auf die Erstattungszinsen spreche unter anderem, dass ihre Festsetzung für einen längeren, periodenübergreifenden Zeitraum und der daran anknüpfende Zufluss in einem Betrag keineswegs untypisch sind (BFH-Urteil vom 12.11.2013, VIII R 36/10). Doch nun hat der BFH seine Auffassung geändert. Erstattungszinsen, die zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören, sind als tarifbegünstigte Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten anzusehen, wenn die zugrunde liegende Steuererstattung als Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG tarifbegünstigt ist (BFH-Urteil vom 30.8.2023, X R 2/22).
Der Sachverhalt:
Der Kläger erzielte gewerbliche Einkünfte. Das Finanzamt erließ Ende 2012 geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1997 bis 2000. Mit den Bescheiden wurde die Umsatzsteuer um insgesamt 321.774 Euro herabgesetzt; ferner wurden Erstattungszinsen in Höhe von insgesamt 203.022 Euro festgesetzt. Die Erstattung beruhte auf einem langwierigen Rechtsstreit mit dem Finanzamt im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung. Offenbar konnte der Kläger den Rechtsstreit in weiten Teilen für sich entscheiden. Er begehrte die Anwendung der Fünftel-Regelung auf die geballt zu versteuernden Umsatzsteuererstattungen sowie auf die Erstattungszinsen. Finanzamt und FG lehnten den Antrag hinsichtlich der Erstattungszinsen ab, doch der BFH ist der Auffassung des Klägers gefolgt.
Die Begründung:
Die Erstattungszinsen stellen eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit gemäß § 34 Abs. 1 i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG dar. Voraussetzung für die Fünftel-Regelung ist, dass sich die Tätigkeit über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst. Das ist im Streitfall gegeben. Auch die zweite Voraussetzung, nämlich die Außerordentlichkeit der Einkünfte, ist erfüllt. Für die Wertung, eine erst nach einem langjährigen Rechtsstreit realisierte Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten (auch bei einem bilanzierenden Gewerbetreibenden) als außerordentlich anzusehen, spricht, dass Höhe und Zuflusszeitpunkt dieser Einkünfte für den Gewerbetreibenden aufgrund des Rechtsstreits nicht disponibel sind, dass aufgrund der erheblichen Höhe der Vergütung typischerweise eine Progressionswirkung eintritt und dass aufgrund des Vorsichtsprinzips zunächst ein Aktivierungsverbot zu beachten ist.
Denkanstoß:
Man stelle sich vor, Sie geraten ins Visier der Steuerfahndung und diese setzt enorme Steuernachforderungen fest. Nach acht langen Jahren gewinnen Sie den Rechtsstreit und die von Ihnen entrichteten Nachforderungen werden – samt Zinsen – erstattet. Nun müssen Sie die Zinsen aber versteuern und aufgrund deren Höhe unterliegen ihre übrigen Einkünfte, die Sie im entsprechenden Jahr erzielen, plötzlich einem Steuersatz von 40 Prozent statt 30 Prozent.
Sie denken vielleicht, das sei absurd. Das ist es auch – war aber bis zum aktuellen BFH-Urteil genau so gewollt gewesen. Gut, dass der BFH diesem Unfug – wenn auch erst nach vielen Jahren – ein Ende bereitet hat. Und gut auch, dass die Höhe der Steuerzinsen ohnehin verringert wurde und nicht mehr 6 Prozent p.a. beträgt.