Noch im August wird es so weit sein: Nach mehr als zwei Jahrzehnten will die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Abschaffung des Solidaritätszuschlags auf den Weg bringen; davon sollen nunmehr 96,5 Prozent aller Steuerzahler profitieren – mehr als bisher gedacht.
Hintergrund
Der Solidaritätszuschlag ist eine Finanzierungsquelle für die Herstellung der deutschen Einheit. Nachdem es bereits 1991/1992 einen zeitlich befristeten Vorläufer gegeben hatte, wurde der Solidaritätszuschlag ab 1995 unbefristet eingeführt. Bemessungsgrundlage dieser Zuschlagsteuer ist die festgesetzte Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer sowie deren Vorauszahlungen und Abzugssteuern (Lohn- und Kapitalertragsteuer). Der Zuschlagsatz wurde zum 1.1.1998 von 7,5 Prozent auf 5,5 Prozent gesenkt. Das Steueraufkommen steht allein dem Bund zu, abgabepflichtig sind alle unbeschränkt oder (erweitert) beschränkt Einkommen- oder Körperschaftsteuerpflichtigen.
Das Steueraufkommen ist immens: In 2018 betrug das Aufkommen aus Solidaritätsbeitrag 18,9 Mrd. Euro. Die Finanzplanung des Bundes sieht für 2020 ein Aufkommen aus Solidaritätszuschlag in Höhe von 20 Mrd. € vor, für 2021 nochmals 20,9 Mrd. €. Bereits 1995 war angekündigt worden, dieses „finanzielle Opfer“ mittelfristig zu überprüfen (BT-Drucks. 12/4401); geworden ist daraus bislang nichts. Immerhin hat die Bundesregierung jetzt unlängst signalisiert, dass die Freigrenzen beim Soli ab 2020 angehoben werden sollen (BT-Drucks. 19/6780).
Was ist Inhalt des BMF-Gesetzentwurfs vom August 2019?
Gegenüber den bisherigen Plänen, nach denen rund 90 Prozent der Steuerzahler vom „Soli“ entlastet werden sollten, sieht der jüngste BMF-Gesetzentwurf vom August 2019 vor, dass im Ergebnis rund 96,5 Prozent der Soli-Zahler bessergestellt werden sollen:
- Von 2021 an sollen rund 90 Prozent der Steuerzahler ganz vom „Soli“ befreit werden. Anders als noch der Koalitionsvertrag sieht der jetzige BMF-Entwurf keine fixen „Freigrenzen“ mehr vor, bei deren Überschreiten das Einkommen komplett vom ersten bis zum letzten Euro belastet wird. Der neue Entwurf sieht einen stufenweisen Abbau vor: Bis zu einem Bruttoarbeitseinkommen von 73.874 Euro müsste dann ein Lediger keinen Soli mehr zahlen, bei einer Familie mit zwei Kindern und einem Alleinverdiener läge die Grenze bei 151.990 Euro Jahresbrutto.
- Gleitzone: Der neue BMF-Entwurf sieht erstmals eine sog. „Milderungszone“ vor, von der rund weitere 6,5 Prozent der Steuerzahler profitieren würden, bei den Gewerbetreibenden würden hiermit nach BMF-Angaben rund 88 Prozent entlastet. Das bedeutet, dass der Soli bei einem Bruttojahreseinkommen eines Ledigen oberhalb von 73.874 Euro stufenweise ansteigen soll, bis ab einem Jahresbrutto von 109.451 Euro der volle Solidaritätszuschlag von 5,5 Prozent anfällt. Bei einer Familie mit zwei Kindern und Alleinverdiener beginnt die Gleitzone oberhalb von 151.990 Euro Jahreseinkommen, der volle Soli wird ab einem Bruttojahreseinkommen von 221.375 Euro fällig.
- Oberhalb der im Gesetzentwurf genannten „Milderungszone“ soll weiterhin der volle Soli anfallen. Hiervon wären 3,5 Prozent der (besserverdienenden) Steuerzahler betroffen. Da der BMF-Entwurf von einer Entlastung „im ersten Schritt“ spricht, wären für diese Gruppe der Steuerzahler Entlastungen erst „in einem zweiten Schritt“ denkbar.
Bewertung
Der neue BMF-Entwurf zur Abschaffung des Soli ist ein Schritt in die richtige Richtung und längst überfällig. Bereits regt sich politischer Widerstand, eine vollständige Abschaffung des Soli für alle weiterhin auf die lange Bank zu schieben. Zu Recht:
- Die rund 19 Mrd. Euro Steuereinnahmen aus dem Solidaritätszuschlag werden bereits heuet zu mehr als 50 Prozent von sog. TOP-Verdienern getragen. Dieser Gruppe, die auch in der Vergangenheit die größte Steuerlast getragen hat, die Entlastung mit der Begründung zu versagen, dass dies zu einer „weiteren Erhöhung von Spitzeneinkommen führen würde“, ist blanker Hohn.
- Die Steuerlast der Unternehmen, insbesondere der kleinen und mittleren Betriebe, bliebe auch nach Umsetzung der aktuellen BMF-Pläne zu hoch: Nach DIHK-Angaben zahlen gegenwärtig von 572.000 mittelständischen Personengesellschaften auf ihr Einkommensteuervolumen von rund 58 Mrd. Euro gewaltige 3,2 Mrd. Euro Soli. Rund 72.000 Kapitalgesellschaften mit einem Körperschaftsteueraufkommen von 33 Mrd. Euro zahlen weitere 2 Mrd. Euro Solidaritätszuschlag. Dies ist in einer Zeit fragiler Konjunkturentwicklung und eines verschärften internationalen Steuerwettbewerbs wenig sinnhaft; dieses Geld haben die Unternehmen für Investitionen in die Zukunft bitter nötig.
- Eine vollständige Abschaffung des Soli ab 2022 – mit Rücksicht auf jährliche Steuerausfälle in Höhe von 11 Mrd. Euro ggf. stufenweise – würde nicht nur die deutsche Wettbewerbsfähigkeit durch Stärkung des Binnenkonsums verbessern. Sie wäre vor allem die Einlösung eines politischen Versprechens, eine bald 30 Jahre vom Steuerzahler geleistete Ergänzungsabgabe nach Erreichung des Zwecks auch wieder abzuschaffen: Eine Frage politischer Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit!
Quellen:
- BT-Drs. 19/6780
- Referentenentwurf des BMF – Entwurf eines Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995
Lesen Sie hierzu auch im NWB Experten-Blog:
Solidaritätszuschlag: Freigrenzen sollen 2021 steigen
Und in der NWB Datenbank:
Das ganze Thema ist ein Trauerspiel und wäre sofort mit Ablauf dieses Jahres zu beenden. Hierfür existiert kein politisches Verständnis und Rechtfertigung mehr. Es wurde und wird zuviel darüber geredet. Dies ist ein falsches Signal an die Leistungsträger der Gesellschaft! Es wird mit einer gewissen Arroganz die zeitlich gestreckte Rücknahme angeordnet. Bei den Diäten klappt das besser…