Endlich oder unendlich? Das ist hier die Frage! Gedanken zur Ausschüttungssperre im Kontext der Wegzugsteuerstundung nach § 6 AStG

Die Norm des § 6 AStG trägt den unscheinbaren Titel „Besteuerung des Vermögenszuwachses“ und wird immer dann relevant, wenn bei einem unbeschränkt Steuerpflichtigen das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung von Anteilen im Sinne des § 17 Abs. 1 S. 1 EStG in Gefahr ist bzw. im Zuge eines Wegzugs beschränkt oder ausgeschlossen wird.

Der deutsche Fiskus partizipiert mit der Wegzugsteuer mit der ihm gebotenen letzten Möglichkeit, an den stillen Reserven, die in den Anteilen erwachsen und gebunden sind, zu partizipieren, bevor er in Zukunft darauf keinen Zugriff mehr hat (es sei denn, dass Besteuerungsrecht ist nicht mehr beschränkt bzw. wird wieder begründet). Insofern kann die Norm durchaus als Missbrauchsvermeidungsvorschrift bezeichnet werden. Sie unterliegt seitjeher einem stetigen Wandel mit Adjustierungen. Sei es durch den Steuergesetzgeber, der § 6 AStG – zum Teil extensiv – verschärft hat. Oder durch die Rechtsprechung, nach welcher beispielsweise der EuGH bzw. der BFH dem Gesetzgeber durchaus gewisse Grenzen der Verschärfungen aufzeigt (vgl. hierzu etwa das sog. Wächtler-Urteil, EuGH vom 26.02.2019 (C-581/17, EU:C:2019:138, Internationales Steuerrecht 2019, 260) und das BFH-Urteil I R 35/20 vom 6. September 2023).

Eine einschneidende Verschärfung fand durch das ATAD-Umsetzungsgesetz (ATADUmsG) und zuletzt durch das Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2022/2523 zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung und weiterer Begleitmaßnahmen vom 21. Dezember 2023 statt. Während mit dem ATADUmsG die dauerhafte zinslose Stundung für EU/EWR-Fälle (sog. „Ewigkeitsstundung“ für Altfälle) aufgehoben wurde (Übergang zum Ratenkonzept), führte letztere Anpassung dazu, dass die Anforderungen an die dauerhafte Wegzugsteuerstundung nach § 6 Abs. 4, 5 AStG („Ewigkeitsstundung“ der Altfälle; Fälle vor ATADUmsG) in der bis zum 30. Juni 2021 geltenden Fassung angehoben bzw. verschärft wurden. Danach findet die sog. Ausschüttungssperre nunmehr auch für Altfälle Anwendung, und zwar mit der Maßgabe, dass rückwirkend alle Gewinnausschüttungen und Einlagenrückgewähre, die nach dem 16. August 2023 erfolgt sind, zu einem partiellen Widerruf der Wegzugsteuerstundung führen, soweit die 25%-Grenze überschritten wird.

Beispiel:

Die natürliche Person ist im Jahr 2020 ins EU-Ausland verzogen und hatte einen 100%-Anteil an einer deutschen Kapitalgesellschaft (§ 17 Abs. 1 S. 1 EStG-Anteile). Im Zuge des Wegzugs wurde eine dauerhafte und zinslose Wegzugsteuerstundung aufgrund des Wegzugs innerhalb der EU gewährt. Der Anteil soll zum Zeitpunkt des Wegzugs 1.000 und die latente Wegzugsteuer 450 betragen haben. (a) Im Jahr 2022 erfolgte eine Gewinnausschüttung von 100 und (b) im Jahr 2024 ebenfalls von 100 ((c) Abwandlung: 300).

Folge:

  • Die Gewinnausschüttung des Jahrs 2022 hat keine Auswirkungen auf die laufende Wegzugsteuerstundung, da sie noch vor dem 16. August 2023 erfolgte.
  • Demgegenüber fällt die Gewinnausschüttung des Jahres 2024 in den Anwendungsbereich der Neuregelung. Fraglich ist, ob es zu einem partiellen Widerruf der Wegzugsteuerstundung i.S.d. Ausschüttungssperre kommt. Hierzu ist folgende Rechnung notwendig: (100 ./. 25%*1.000) = -150. Es kommt zu keinem Widerruf.
  • Würde die Gewinnausschüttung in 2024 hingegen 300 betragen, käme es zu einem partiellen Widerruf der Wegzugsteuerstundung i.H.v. 5% ((300 ./. 25%*1.000) = 50 → 50 / 1.000 = 5%). Die natürliche Person hätte 22,5 (5% v. 450) zu leisten.

Die Ausdehnung auf die Altfälle stellt m.E. eine echte Rückwirkung und keine unechte dar, da diese u.a. auf eine bestehende Wegzugsteuerstundung zurückgreift, die ihren Ursprung vor der Neuregelung hatte. Durch das Abstellen auf die künftigen Gewinnausschüttungen wird durch die Hintertür die Wegzugsteuerstundung der Altfälle ausgehöhlt. Zudem ist nicht zu verkennen, dass bereits in dem festgestellten gemeinen Wert des Anteils im Zeitpunkt des Wegzugs alle stillen (gegebenen und künftigen) Reserven einbezogen wurden und somit kein Raum mehr für den Einbezug künftiger Gewinnausschüttungen oder Anteilssteigerungen verbleibt. Mit Blick auf die jüngst ergangene Rechtsprechung (s.o.) ist zudem fraglich, ob die Ausschüttungssperre nicht bereits dem Grunde nach zur Disposition stehen dürfte (Vergleich mit einem Inlandsfall und keine Anteilsveräußerung).

Fazit:

Steuerpflichtige sollten nach meiner Auffassung den Nachweispflichten im Zusammenhang mit der Wegzugsteuerstundung unverändert und den Gewinnausschüttungen neuerdings nachkommen, jedoch gegen die Anwendung der Ausschüttungssperre für die Altfälle den Weg des Rechtsbehelfes ernsthaft in Erwägung ziehen. Es darf mit Spannung erwartet werden, wann die erste finanzgerichtliche Entscheidung diesbezüglich aufkommen wird – § 6 AStG bleibt auch weiterhin spannend.

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