Am 11.11.2021 – also heute – berät der Bundestag in erster Lesung den Entwurf für ein novelliertes Infektionsschutzgesetz (IfSG). Sollte die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite tatsächlich aufgegeben werden?
Hintergrund
Ich habe bereits mehrfach im hier im Blog dazu berichtet: Erstmals hatte der Bundestag am 25.3.2020 die epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt, die dem Bund besondere Befugnisse nach dem IfSG gibt, etwa zum Erlass von Rechtsverordnungen und Anordnungen. Die Feststellung der epidemischen Lage wurde sodann am 18.11.2020, am 4.3.2021, am 11.6.2021 und am 25.8.2021 verlängert.
Mit einer Gesetzesänderung im März 2021 billigte das Parlament eine Regelung, nach der der Bundestag spätestens drei Monate nach Feststellung der epidemischen Lage deren Fortbestehen feststellen muss, ansonsten gilt die Lage als aufgehoben (§ 5 Abs. 1 S. 3 IfSG). Das wäre nach aktueller Lage am 25.11.2021 der Fall. Angesichts geradezu explodierender Corona-Infektionszahlen und eines ansteigenden Hospitalisierungs-Index ist politisch umstritten, ob nicht abermals die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite über den 25.11.2021 hinaus erforderlich ist.
Was die Ampel-Koalition plant
Die bisherige Regelung des § 28a Abs. 7 IfSG ermöglicht neben dem Bund auch den Ländern während der bundesweit festgestellten epidemischen Lage, sämtliche Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28a Abs. 1 IfSG bei einer konkreten Gefahr einer epidemischen Ausbreitung von Covid 19 im jeweiligen Land nach Feststellung des jeweiligen Landesparlaments vorzusehen; damit waren durch administrative Entscheidungen sehr weitreichende Einschränkungen wie z.B. Betriebsschließungen im Handel und in der Gastronomie oder flächendeckende Schließungen von Schulen, Uni oder Kultureinrichtungen möglich.
Die mutmaßliche Ampel-Koalition will die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Bedeutung jetzt nicht mehr verlängern, sondern mit einem neuen IfSG Handlungsfähigkeit in der Pandemie demonstrieren. Nach der bisherigen Regelung im Infektionsschutzgesetz haben die Bundesländer auch nach Ablauf einer festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite die Möglichkeit, bei einer konkreten Gefahr der Ausbreitung von Covid-19 im jeweiligen Land sämtliche im Gesetz vorgesehenen Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Diese Regelung wollen die drei Fraktionen durch einen bundesweit einheitlichen Maßnahmenkatalog ersetzen, der unabhängig von der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite bis zum 19. März 2022 angewendet werden kann.
Dieser Maßnahmenkatalog in § 28a Abs.7 IfSG ist laut Gesetzentwurf (BT-Drs.20/15 v. 8.11.2021) der (voraussichtlichen) Koalitionäre auf Vorgehensweisen beschränkt, die in der aktuellen Phase „sinnvoll und angemessen“ seien. Die je nach regionaler Situation in den Ländern differenzierte Anwendung soll gewährleistet bleiben. Arbeitgeber in bestimmten Einrichtungen und Unternehmen sollen Beschäftigtendaten zum Impf- und Serostatus der Beschäftigten in Bezug auf Covid-19 im genannten Zeitraum verarbeiten können, um die Verbreitung des Virus zu verhindern (§ 36 Abs. 3 IfSG). Die Sonderregelungen zum Kinderkrankengeld sollen bis Ende 2022 verlängert werden, um coronabedingte Schwierigkeiten bei der Kinderbetreuung zu mildern. Mit einer Neufassung der Corona-ArbSchV sollen die bisherigen Anforderungen an den betrieblichen Infektionsschutz beibehalten werden.
Warum der Abschied von der bundesweiten epidemischen Lage richtig ist – und wo Fragezeichen bleiben
Wie sind die Pläne für eine Novelle des IfSG nun zu bewerten? Richtig ist zwar, dass wir faktisch eine dynamische Ausbreitung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit über mehrere Bundesländer feststellen müssen. Richtig ist aber meines Erachtens auch, dass dieser Umstand ein Festhalten am bisherigen rechtlichen Zustand der epidemischen Notlage von nationaler Tragweite im Angesicht bürgerlicher Freiheitsrechte nicht länger rechtfertigt. Denn die bisherige Rechtslage ermöglicht der Bundesregierung (und den Länderregierungen) sehr weitgehende Eingriffe in Freiheitsrechte ohne Beteiligung des Parlaments, die angesichts des Impffortschritts und des zwischenzeitlichen medizinischen Erkenntnishorizonts bei der Bekämpfung des Corona-Virus nicht mehr verhältnismäßig wären. Der Gewaltenteilungsgrundsatz macht vielmehr erforderlich, dass die Beschränkung von Freiheitsrechten nur noch dann in Betracht kommt, wenn der parlamentarische Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft und auf das notwendige Maß beschränkt.
Allerdings verdienen die geplanten neuen „Spielregeln“ nicht durchweg ungeteilten Beifall. Die befristete Rückkehr zu kostenlosen Bürgertests – obwohl nach Umfrageergebnissen von YouGov 54 Prozent der Bevölkerung dagegen sind – macht in der derzeitigen Situation zwar Sinn, weil auch Tests ein unverzichtbarer Teil auf dem Weg aus der Pandemie sind, von dem auch Geimpfte profitieren. Die Rückkehr sollte aber bitte nicht damit gerechtfertigt werden, 3-G-Regelungen am Arbeitsplatz zu ermöglichen, damit Arbeitnehmer weiterhin ihren Impfstatus nicht gegenüber dem Arbeitgeber preisgeben müssen. Das setzt ein falsches Signal, weil eine bereichsspezifische, befristete Ausnahme vom Gesundheitsdatenschutz mit einem uneingeschränkten – nicht nur auf bestimmte Berufsgruppen beschränkten – Auskunftsanspruch des Arbeitgebers in Bezug auf den Impf- und Serostatus des Arbeitnehmers überfällig ist. Insofern setzt leider auch die beabsichtigte Fortschreibung der Corona-ArbSchV mit Verzicht auf einen Auskunftsanspruch ein falsches Signal: Eine solche Politik ist weiterhin Wasser auf die Mühlen der Tyrannei einer ungeimpften Minderheit über die geimpfte Mehrheit der Bevölkerung. Da Infektionen im Rahmen einer Pandemie kein Privatvergnügen sind, muss sich der persönliche Datenschutz zeitlich befristet „hinten anstellen“!
Quellen