Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen Sie sich vor, während der schlimmsten Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte schreiben Sie Ihren Mandanten einen netten Brief, und zwar kurz vor Weihnachten. Nach einigen schönen Worten weisen Sie am Ende des Briefes darauf hin, dass Sie ab 2021 leider Ihr Honorar um 18 Prozent erhöhen müssen. Ihnen seien die Hände gebunden. Grund für die Erhöhung sei, dass Sie beabsichtigen, in zehn Jahren in den Ruhestand zu treten. Die Honorare, die Sie in den letzten 30 Jahren erwirtschaftet haben, würden sich zwar nach wie vor auf Ihrem Konto befinden.
Doch wie nun alle wüssten, seien die Zinsen nahe Null und Ihre Altersvorsorge sei ernsthaft gefährdet. Kurzum: Sie könnten die Honorare Ihrer Mandanten, die auch Ihrer Altersversorgung dienen sollen, nicht mehr gewinnbringend anlegen. Zugegeben: Ihre Steuerberaterkolleginnen und -kollegen würden zwar nach wie vor eine attraktive Verzinsung erreichen. Aber Sie selbst seien eben nicht ganz so versiert in Anlagefragen und dementsprechend würden Sie diese Zinsen nicht erzielen. Dafür bitten Sie Ihre Mandanten um Verständnis.
Ihre Mandanten sind selbstverständlich alles andere als erfreut und schauen sich nach Alternativen um. Doch sie stellen fest, dass es gar nicht so einfach ist, den Berater zu wechseln, da sich das Steuerberaterhonorar nach dem Alter der Mandanten und ihrer „Steuergeschichte“ richtet. Sind Ihre Mandanten vor 15 Jahren einmal einer schlimmen Steuerkrankheit anheimgefallen, würde sich bei einem Beraterwechsel das Honorar um 50 Prozent erhöhen – sofern ein Steuerberater sie überhaupt als Mandant aufnehmen würde. Fazit: Ein Beraterwechsel ist nahezu unmöglich.
Für Steuerberater ein schönes vorweihnachtliches Märchen, oder? Für Mandanten wahrscheinlich der Albtraum.
Natürlich handelt es sich um eine Glosse. Über zwei Millionen Versicherte einer namhaften deutschen privaten Krankenversicherung können in dieser Glosse aber sehr viel Wahrheit erkennen, denn sie haben in den letzten Wochen Beitragsbescheide erhalten, die eben diese Erhöhung enthalten. Ich schreibe diese Zeilen im NWB Experten-Blog, weil gerade auch viele Steuerberaterkollegen, deren Mandanten, insbesondere aber auch unzählige Finanzbeamte, die diesen Blog aufmerksam verfolgen, betroffen sind. Und fast alle sind entsetzt. Angenommen, Sie sind 50 Jahre alt und Sie müssen eine Beitragserhöhung von 100 Euro verkraften, so bedeutet der Bescheid der Krankenversicherung nichts anderes, als dass Ihnen bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 80 Jahren 36.000 Euro weniger zur Verfügung stehen. Nun gut, man kann den Betrag abzinsen. Dann wären es etwas weniger. Aber es bleibt eine gewaltige Summe.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich kenne nicht die Kostenstruktur der besagten Versicherungsgesellschaft und maße mir kein Urteil über die Führung des Hauses an. Aber: Ausgerechnet in Zeiten, in denen Hunderttausende Gewerbetreibende und Freiberufler ums wirtschaftliche Überleben kämpfen und ausgerechnet in dem Monat, in dem Novemberhilfe beantragt werden muss, einen Bescheid zuzusenden, der den Betroffenen möglicherweise endgültig den wirtschaftlichen Garaus macht, ist schwer verdaulich.