Ein Finanzrichter schläft niemals!

Lange Verhandlungen – sei es in der Politik, in der Wirtschaft oder bei Gericht – können ermüdend sein. Ich nehme an, dass 99,9 Prozent der Leser der Auffassung sind, dass sie bei großer Müdigkeit nicht mehr zu Top-Leistungen imstande sind. Nun wissen wir aber, dass der Berufsstand des Politikers von derartig menschlichen Regungen ausgenommen ist. Auch nach einem 20-stündigen Verhandlungsmarathon ist er in der Lage, Entscheidungen zu treffen, die unser Land in den kommenden vier Jahren maßgeblich beeinflussen werden. Aber nicht nur Politiker gehören zu der seltenen Spezies, die über den Schlaf erhaben ist. Auch (Finanz-)Richter sind gegen Müdigkeitsanfälle immun und jederzeit in der Lage, auch noch so langen (langweiligen) Verhandlungen zu folgen.

Mein sehr geschätzter Autorenkollege Peter Kauth hat kürzlich in einem Editorial sehr anschaulich herausgearbeitet, dass es kaum gelingen wird, ein Urteil anzufechten, das trotz eines schlafenden Richters zustande gekommen ist.

Für einen (Finanz-)Richter gilt: „…. dass nicht jede erkennbare vorübergehende Ermüdung eines Richters, wie sie zumal bei längeren und anstrengenden Verhandlungen auftreten und etwa durch Gähnen und Zufallen der Augen in Erscheinung treten kann, den Richter ohne weiteres hindert, der Verhandlung zu folgen“ (BFH-Urteil vom 4.8.1967, VI R 198/66).

Nach höchstrichterlicher Auffassung schläft ein Richter allenfalls dann, „wenn andere sichere Anzeichen hinzukommen, wie beispielsweise tiefes, hörbares und gleichmäßiges Atmen oder gar Schnarchen oder ruckartiges Aufrichten mit Anzeichen von fehlender Orientierung“ (BFH-Beschluss vom 16.6.2009, X B 202/08).

Das Bundessozialgericht hat übrigens aktuell die fachlichen Ausführungen des BFH zum „Schlaf von Richtern im Gerichtssaal“ übernommen und wie folgt zusammengefasst: „Zeichen einer großen Ermüdung, Neigung zum Schlaf und das Kämpfen mit der Müdigkeit sind noch kein sicherer Beweis dafür, dass der Richter die Vorgänge in der Verhandlung nicht mehr wahrnehmen konnte. Auch das Schließen der Augen und das Senken des Kopfes auf die Brust, selbst wenn es sich nicht nur auf wenige Minuten beschränkt, beweist noch nicht, dass der Richter schläft. Diese Haltung kann vielmehr auch zur geistigen Entspannung oder besonderen Konzentration eingenommen werden. Deshalb kann erst dann davon ausgegangen werden, dass ein Richter schläft oder in anderer Weise ‚abwesend‘ ist, wenn andere sichere Anzeichen hinzukommen, wie beispielsweise tiefes, hörbares und gleichmäßiges Atmen oder gar Schnarchen oder ruckartiges Aufrichten mit Anzeichen von fehlender Orientierung“ (BSG-Beschluss vom 12.4.2017, B 13 R 289/16 B).

Das BSG-Urteil ist übrigens sehr zur Lektüre empfohlen, denn letztlich konnte mehr oder weniger „nachgewiesen“ werden, dass ein ehrenamtlicher Richter der Vorinstanz eingeschlafen war. Das Urteil wurde aufgehoben und die Sache zurück an die Vorinstanz zur erneuten Verhandlung verwiesen. Na ja, es war halt das Sozial- und nicht das Finanzgericht. Und ehrenamtliche Richter sind nun einmal keine Profis.

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