Ein einfacher Vorschlag für bessere Steuergesetzgebung – Teil 1

Jedes Jahr das gleiche Spiel. Bei der Lektüre größerer Gesetzeswerke, wie aktuell z.B. beim Wachstumschancengesetz oder dem Entwurf des Jahressteuergesetz 2024, stößt der Steuerpflichtige auf Regelungen, die Wirkung für die Vergangenheit entfalten. Sofern es sich dabei um eine der gelegentlichen entlastenden Regelungen handelt, zaubert dies ein kleines Lächeln auf die Lippen des gesetzestreuen Lesers. Als Steuerzahler hat man in Deutschland schließlich sonst nicht viel zu lachen.

Problematisch und in der Praxis häufig anzutreffen sind dagegen belastende Maßnahmen, die – vom Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes aus betrachtet – für die Vergangenheit anzuwenden sind. Hier sieht sich der Steuerpflichtige genötigt, abgeschlossene Lebenssachverhalte plötzlich steuerlich neu bewerten zu müssen. Der Supergau für den Steuerpflichtigen: Was nach geltendem Recht steuerfrei war, wird auf einmal rückwirkend besteuert.

Gesetzestechnisch können Rückwirkungen sehr einfach vermieden werden. Der Gesetzgeber kann die zeitliche Dimension neuer Gesetze über Inkrafttretens- und Anwendungsregelungen (Übergangsvorschriften) exakt steuern. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber darüber hinaus in zahlreichen Urteilen Leitplanken vorgegeben, wann die Steuerpflichtigen Vertrauensschutz genießen und unter welchen Umständen der Gesetzgeber etwas mehr rückwirkenden Handlungsspielraum hat. Echte Rückwirkungen, die (im Ertragsteuerrecht) in bereits abgeschlossene Veranlagungszeiträume zurückwirken, lässt es nur in sehr seltenen Ausnahmefällen zu.

Etwas gnädiger sind die Verfassungsrichter bei sog. unechten Rückwirkungen, die im Laufe eines Jahres in Kraft treten und auf den Jahresanfang zurückwirken. Aber auch in diesen Fällen muss der Gesetzgeber strenge Vorgaben zur Verhältnismäßigkeit beachten, da auch unechte (belastende) Rückwirkungen Disposition der Steuerpflichtigen steuerlich entwerten, die noch unter dem damals günstigeren Recht vorgenommen wurden. Ein Bewertungsmaßstab ist dabei, ob der Steuerpflichtige ggf. nicht mehr darauf vertrauen konnte, dass eine für ihn günstige Regelung Bestand hat, weil z.B. zum Zeitpunkt seiner Disposition eine Gesetzesverschärfung schon auf dem Weg war. In solchen Fällen kann das Vertrauen in eine Regelung u.U. als zerstört und die rückwirkende Regelung als rechtlich akzeptabel gelten.

Rückwirkende Gesetze verfassungsrechtlich sauber auszugestalten ist also nicht einfach. Doch ließe sich das Problem leicht umschiffen. Denn stets hat der Gesetzgeber die Möglichkeit, neue belastende Regelungen erst für die Zukunft, z.B. am nächsten 01.01. in Kraft zu setzen. Und dennoch versucht es das Bundesfinanzministerium – rückwirkende Anwendungsregelungen finden sich regelmäßig in Gesetzentwürfen der Bundesregierung, Abgeordnete haben diesbezüglich offenbar ein höheres Problembewusstsein – immer wieder. Ein paar aktuelle Beispiele:

  • Die hochkomplexen Neuregelungen zur Behandlung von Finanzierungsbeziehungen in multinationalen Unternehmensgruppen (§ 1 Abs. 3d und 3e AStG) wurden am 27.03.2024 mit dem Wachstumschancengesetz verkündet. Anzuwenden sind sie rückwirkend seit dem 01.01.2024.
  • Bei der Reform der Grunderwerbsteuer unterlief dem Gesetzgeber im Jahr 2021 ein Redaktionsversehen. Die Nachbehaltensfrist nach § 5 Abs. 3 Satz 1 GrEStG beim Übergang auf eine Gesamthand (z.B. eine Kommanditgesellschaft) verblieb bei fünf Jahren, obwohl es eigentlich zehn Jahre werden sollten. Ende 2022 wurde die Frist zu Lasten der Betroffenen rückwirkend zum 01.07.2021 auf zehn Jahre verlängert.
  • Nachdem die damalige Koalition sich lange nicht auf das Gesetz einigen konnte, setzte sie mit dem am 30.06.2021 im Bundesgesetzblatt veröffentlichten ATAD-Umsetzungsgesetz mehrere Regelungen, darunter § 4k EStG zu hybriden Gestaltungen, echt oder unecht rückwirkend um.
  • Besonders weit zurück reichte eine im Jahr 2021 vorgenommene Verschärfung der Tonnagebesteuerung. Diese sollte sage und schreibe 22 Jahre bis ins Jahr 1999 zurückwirken. Der BFH (IV R 13/22) zerlegte diese Gesetzesverschärfung, soweit sie belastend wirkt, regelrecht. Jetzt liegt der Vorgang beim Bundesverfassungsgericht.
  • Der neueste Trend in Sachen Rückwirkung entwickelt sich gerade im Umwandlungssteuerrecht. Hier gibt es die Besonderheit, dass Anwendungsregelungen häufig auf das Datum der Anmeldung eines Umwandlungsvorgangs zur Eintragung in das Handelsregister abstellen. Eine Neuregelung gilt dann nur für solche Umwandlungen, bei denen die Anmeldung zum Registereintrag nach einem bestimmten Stichtag erfolgt. Seit dem Jahr 2021 hat das BMF dieses Datum mehrfach auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung des Referentenentwurfs, in dem die Regelung erstmals enthalten war, gelegt und damit eine Rückwirkung erzeugt. So ist seit der o.g. Verkündung des Wachstumschancengesetz am 27.03.2024 die belastende Neuregelung der sog. Nachspaltungsveräußerungssperre auf sämtliche Spaltungen rückwirkend anzuwenden, deren Anmeldung zum Handelsregister nach dem 14.07.2023 erfolgte.
    Einen derart frühen Zeitpunkt wie die Veröffentlichung des Referentenentwurfs, der noch nicht Teil des formellen Gesetzgebungsverfahrens ist, hat das Bundesverfassungsgericht allerdings noch nie als vertrauenszerstörend betrachtet. Verfassungsrechtlich ist dieses Vorgehen also als sehr kritisch einzustufen. Wer sich ein wenig mit Gesetzgebungsverfahren auskennt, weiß, dass dies in diesem frühen Stadium ohnehin der Unsicherheitsfaktor noch so überwältigend hoch ist, dass keinerlei Vertrauen in irgendeine Neuregelung herbeiorakelt werden kann. Denn es ist gängige Praxis, dass Regelungen aus Referentenentwürfen geändert oder gestrichen werden. Würde das Verfassungsgericht die Veröffentlichung eines Referentenentwurfs aus Sicht des Steuerpflichtigen als vertrauenszerstörend anerkennen, wäre dies ein Dammbruch, der einer Blankovollmacht für Willküranpassungen gleichkommen könnte. Mit einem solchen, sicherlich hochwillkommenen Freibrief könnte das BMF durch die frühzeitige Veröffentlichung von Gesetzentwürfen – völlig unabhängig von deren Umsetzungswahrscheinlichkeit – nach Belieben und in großem Umfang die Tür für spätere rückwirkende Maßnahmen aufstoßen (und offenhalten) und damit die verfassungsrechtlichen Rückwirkungsgrenzen umgehen. Dies wäre offensichtlich der Todesstoß für jegliche Rechtssicherheit im Steuerrecht.

Angesichts all dieser Unannehmlichkeiten fragt man sich: Wofür machen die das eigentlich?

Die Antwort auf diese und weitere Fragen werden im zweiten Teil dieses Beitrags behandelt, der in Kürze erscheint.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

16 − 15 =