Im Zuge der Covid-Bekämpfung ändern sich Geisteshaltung und Dynamik in Sachen Digitalisierung – auch in der juristischen Welt. Und nun macht auch die 2019 in Kraft getretene EU-Digitalisierungsrichtlinie (EU) – 2019/1151) dem deutschen Gesetzgeber bei der Modernisierung des heimischen Wirtschaftsrechts Beine. Die Bundesregierung ist verpflichtet, die europäischen Vorgaben zeitnah umzusetzen.
Die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hat endlich im Februar 2021 ihren Referentenentwurf vorgelegt (Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungs-RL im Gesellschaftsrecht und Handelsregisterrecht, sog. RefE-DiRUG). Die mit einem Smartphone aufgewachsenen Wirtschaftsjuristen reiben sich ergriffen die Augen: Nächstes Jahr soll die GmbH-Gründung über das Internet möglich werden und andere wirtschaftsrechtliche Verfahren werden volldigitalisiert.
Digitalisierungs-Pandemie – click und fertig!
Die Exekutive und der Gesetzgeber reagieren auf die Corona-Bedrohung in vielfältiger Weise. Im Gesellschaftsrecht erfolgt eine (temporäre) Liberalisierung der für das GmbH- und Aktienrecht so wichtigen Gesellschafter- und Hauptversammlungen. Seither können das operative Geschäft sichernde Gesellschafterbeschlüsse trotz opponierender Minderheitsgesellschafter ohne ein physisches Treffen stattfinden. In der Gesellschaftsrechtspraxis großer Konzerne bis zum Kleinstunternehmen erhalten digitale Prozesse Hochkonjunktur – und alle finden das gut.
Die Digitalisierungs-Pandemie hat aber nicht nur die Gesetzgeber angesteckt. Sie scheint sogar das Gerichtswesen fest in der Hand zu haben. Viele Zivilgerichte meiden in der Corona-Krise den persönlichen Menschenkontakt und experimentieren mit virtuellen Gerichtsverhandlungen im geltenden Recht (§ 128a ZPO) – trotz der Kopfschmerzen wegen des Öffentlichkeitsgrundsatzes. Nun legten die OLG-Präsidenten im Dezember 2020 ein erstaunliches Diskussionspapier mit dem Titel „Modernisierung des Zivilprozesses“ vor.
Zielsetzung ist ein beschleunigtes Online-Gerichtsverfahren, das elektronische Beweismittel zulassen soll. Ein Zivilgerichtsverfahren für kleinere Streitwerte, das ausschließlich mithilfe elektronischer Kommunikationsmittel geführt werden kann. De lege ferenda wünscht man sich sogar ein zentrales Online-Gericht, was Zeit und Kosten für die Streitbeteiligten reduzieren würde. Hier scheinen die Beteiligten Antworten auf die neu aufkommenden Fragen im Zusammenhang der Legal Tech-Welle und des modernen Verbraucherschutzes zu suchen. Rechtspolitisch kann man solche Reformgedanken nur befürworten.
Kommen wir zurück auf die Modernisierungsbemühungen im Gesellschaftsrecht, die auf EU- und nationaler Ebene Platz greifen:
EU als Impulsgeber
Die EU-Kommission ist im 21. Jahrhundert angekommen. Mit ihrer EU-Initiative Company Law Package wird die Online-Gründung von Gesellschaften im gesamten europäischen Binnenmarkt angestoßen. Die EU beabsichtigt mit ihrer Digitalisierungsrichtlinie die Gründungsverfahren der GmbH, UG, AG und KGaA für Gründer zu vereinfachen. Die Startup-Szene ist begeistert. Zukünftig soll die GmbH endlich online errichtet werden können. Dies soll Geld und Zeit ersparen. Allerdings sieht das EU-Recht eine Opt Out-Möglichkeit vor. Mitgliedsländer können auf eine Online-Gründung von AGs und KGaAs verzichten. Die Bundesregierung hat bereits wegen der komplexen aktienrechtlichen Gründungsverfahren von der Ausstiegsmöglichkeit Gebrauch gemacht und will die Online-Gründung auf die GmbH und UG (haftungsbeschränkt) begrenzen.
Zeitlich gesehen sollte die Gesellschaftsgründung über das Internet bis zum 1. August 2021 ermöglicht werden. Aber, keine Regel ohne Ausnahme: Hinsichtlich der Frist können die Mitgliedsstaaten eine Verlängerung bis zum 1. August 2022 in Anspruch nehmen.
Wir raten nun, wer die Fristverlängerung in Anspruch genommen hat. Richtig, unsere Bundesregierung hat bereits angekündigt, die Digitalisierung ihres Gesellschaftsrechts bis zum August im nächsten Jahr umzusetzen.
Wie wird das neue Gesellschaftsrecht 4.0 aussehen?
Herzstück des neuen Referentenentwurfs ist die Online-Gründung der GmbH und UG. Der Gesetzgeber wollte allerdings nicht auf den Notar als Wächter im Gründungsverfahren verzichten. Der Notar soll seine Rolle als Berater und Kontrolleur behalten. Unterdessen wird das notarielle Beurkundungsverfahren digitalisiert. Der Notar wird Beschlüsse und den GmbH-Gesellschaftsvertrag zukünftig im Wege der Online-Videokonferenz mit Gesellschaftern und Geschäftsführern beurkunden und beglaubigen können. An den materiellen Anforderungen der Gesellschaftsgründung (Stammkapital, Kapitalaufbringung, Versicherungen der Geschäftsführer) soll sich nichts ändern. Die GmbH kann – muss aber nicht – im Wege des Vereinfachten Verfahrens per Musterprotokoll gegründet werden. Einschränkungen bei der Online-Gründung bestehen allerdings auch: zum Beispiel verbietet sich eine Sachgründung online. Das neue Verfahren ermöglicht auch keine Kapitalerhöhung.
Überdies soll auch die Errichtung von Zweigniederlassungen im Online-Verfahren ermöglicht werden. Der Gesetzgeber macht aber bei den Online-Gründungen nicht Halt. Es wird sich auch die Zweigleisigkeit der deutschen Unternehmenspublizität durch Veröffentlichungen im Bundesanzeiger und Unternehmensregister vereinfachen. Künftig will der Gesetzgeber auf die umständliche Bekanntmachung von Unternehmensdaten im Bundesanzeiger verzichten. Jahresabschlüsse werden mithin nur noch im Unternehmensregister elektronisch eingespielt und offengelegt. Schließlich soll ein kostenloser Online-Abruf aller Unternehmensdaten im Unternehmensregister für jedermann ermöglicht werden. Die bestehenden Abrufgebühren werden also entfallen.
Lob, Kritik und Erwartung
Jede Vereinfachung bei den deutschen komplexen gesellschaftsrechtlichen Strukturen ist zu begrüßen. Lob gebührt vor allem der EU, die als Initiator mit ihrer Digitalisierungsrichtlinie die Online-Gesellschaftsgründung vorantreibt. Leider hat es der deutsche Gesetzgeber versäumt, Online-Verfahren in einem größeren Spektrum zu etablieren. Bei allem Verständnis für die Beschränkungen bei Sachgründungen wären zumindest Bargründungen bei weiteren Rechtsformen über die Grenzen des GmbH-Gesetzes hinweg wünschenswert gewesen. Weshalb eine (kleine) AG, GmbH & Co. KG und KG nicht durch ein Online-Verfahren gegründet werden soll, erschließt sich dem Praktiker nicht.
Der deutsche Gesetzgeber verspricht eine schnelle Online-Gründung von GmbHs. Hier stellt sich für den praktisch denkenden Wirtschaftsanwalt die Frage, wie die Banken auf die Vorgaben des Gesetzgebers reagieren werden. Für die GmbH-Gründung ist die Überweisung des Stammkapitals auf ein GmbH-Bankkonto erforderlich, was auch vom Geschäftsführer zu versichern ist. Sehr oft nimmt die Kontoeröffnung im Rahmen von Gesellschaftsgründungen sehr viel Zeit in Anspruch. Die Kontoeröffnung verkompliziert und verzögert sich nochmals beträchtlich bei Investoren mit Sitz im Ausland, die eine GmbH im Inland gründen. Wenn sich an der Schnittstelle zur Bank nichts ändert, wird die Schnelligkeit der Online-Gründung massiv entwertet.
Es wäre zu begrüßen, wenn erste positive Erfahrungen mit der Online-Gesellschaftsgründung den Gesetzgeber veranlassen würden, weitere Verfahren zu digitalisieren und zu vereinfachen. Wenn Identitätsprüfungen und Know your Customer-Systeme schon heute rechtssicher digitalisiert werden können, stellt sich die Frage, weshalb nicht das Gros der wirtschaftsrechtlichen Verfahren online verfügbar sein sollte. Es gibt keine tragenden Argumente gegen eine Online-Anmeldung etwa einer Abberufung eines Geschäftsführers in der GmbH oder eines Eintritts eines Kommanditisten in die KG. Die Wirtschaft und der einzelne Marktteilnehmer wäre für jede Kosten- und Zeitersparnis dankbar.
Weitere Informationen:
- Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie im Gesellschaftsrecht und Handelsregisterrecht, RefE-DiRUG (www.bmvj.de)
- Eingehend zu den rechtlichen Einschränkungen bei der geplanten GmbH Online-Gründung s. https://www.rosepartner.de/gmbh-online-gruenden.html
- Diskussionspapier Modernisierung des Zivilprozesses (www.justiz-bayern.de)