Digitale Grundsteuererklärung: Ein Offenbarungseid der Finanzverwaltung

Ja, auch ich hatte das Vergnügen, meine erste Grundsteuererklärung über ELSTER zu erstellen. Ehrlich gesagt hatte ich die negative Berichterstattung, die in der Tagespresse zu lesen war, als reines Sommertheater abgetan, nach dem Motto „Wenn die sonst nichts zu schreiben haben“. Klar war, dass man mit einiger Suche immer einen Hauseigentümer findet, der vermeintlich mit der digitalen Grundsteuererklärung überfordert ist. Und die Berichterstattung über die technischen Probleme der Finanzverwaltung habe ich für übertrieben gehalten. Überlastete Server können halt abstürzen; das ist nicht neu und haben wir seinerzeit auch bei den ersten Anträgen auf Corona-Soforthilfe erlebt. Doch davon geht die Welt nicht unter und die Erklärung wird halt etwas später übermittelt.

Doch ich muss Abbitte leisten: Nachdem ich als Steuerberater, zu dessen Studienfächern immerhin das Bewertungsrecht gehörte, die eigene digitale Grundsteuererklärung über ELSTER erstellt habe, kam innerlich Erstaunen auf, um nicht zu sagen, dass Verzweiflung aufkam. Die digitale Grundsteuererklärung über ELSTER ist leider ein Offenbarungseid der Finanzverwaltung und gehört schnellstens überarbeitet.

Einige Beispiele: Bei „Art der wirtschaftlichen Einheit“ kann ich auf „keine Angabe“ anklicken. Prima, denke ich: Die Eintragung übernimmt dann später ein netter Bearbeiter oder eine nette Bearbeiterin des Finanzamts. Ich komme aber gar nicht weiter, wenn ich „keine Angabe“ anklicke. Also verstehe ich nicht, warum es den Button „keine Angabe“ überhaupt gibt.

Auch schön: Wenn ich bei den Eigentumsverhältnissen „Ehegatten/Lebenspartner“ eingebe, heißt es „weiter mit Zeile 41“. Aber wo, bitte schön, ist die Zeile 41? Warum gibt es keine „Absprungmarke“ zu dieser Zeile? Hat hier jemand ELSTER und Papiervordrucke durcheinandergebracht?

Noch einmal zu den Eigentumsverhältnissen: Dort kann ich unter anderem aussuchen zwischen Erbengemeinschaft, Bruchteilsgemeinschaft und Grundstücksgemeinschaft ausschließlich von natürlichen Personen. Ob jeder den Unterschied kennt?

Wenn ich die Grundsteuererklärung für eine Eigentumswohnung erstelle, muss ich schon wissen, dass es sich dabei um Wohnungseigentum und nicht um Teileigentum handelt.

Ganz „übel“ sind aber Prüfhinweise. Diese sind so kryptisch sind, dass nur schwer feststellbar ist, wo ein Eingabefehler liegen könnte. Prüfhinweise entwickeln sich zum Detektivspiel und dürften einige Hauseigentümer an den Rande des Nervenzusammenbruchs bringen.

Kleiner Tipp: Bei „Gemarkung beziehungsweise Flurstück“ unbedingt das Feld in Zeile 11 ausfüllen. ABER aufgepasst: Die Zeile 11 gibt es – warum auch immer – gleich zweimal. Und in der zweiten Zeile 11 muss so etwas angeklickt werden wie „Erste Fläche (Schlüsselwert 1)“. Keine Ahnung, was mir der Programmierer damit sagen will. Ich habe lange überlegt, doch keine Antwort gefunden. Aber ohne diese Eintragung geht es nicht weiter und einen Prüfhinweis auf diese erforderliche Eintragung werden Sie vergebens suchen. Mich jedenfalls hat es 45 Minuten meines Lebens gekostet, um herauszufinden, dass die Angabe eines Schlüsselwerts (den ich aus dem Bewertungsrecht nicht kenne) erforderlich ist. Ich nehme an, damit hat sich jemand ein Spässle erlaubt.

Ich frage mich auch, warum die Steuernummern und die Steuer-Identifikationsnummern der Eigentümer abgefragt werden. Für die Grundsteuererklärungen werden sie eigentlich nicht benötigt.

Noch einige Schmankerl: Ich wohne in Nordrhein-Westfalen, muss aber „Grundsteuer für andere Bundesländer 2022“ anklicken. Nun weiß ich, dass es ein Bundesmodell und für einige Bundesländer Sondermodelle gibt. Aber ´mal ehrlich: Es erschließt sich doch niemandem, dass ich eine Grundsteuererklärung „für ein anderes Bundesland“ anklicken muss, obwohl es um die Erklärung für mein „eigenes“ Bundeslandes geht.

Oder: Die Zeilen bei ELSTER steigen ´mal auf, dann ´mal wieder ab und es werden auch Zeilen übersprungen. Also: Nach Zeile 29 kommt gleich die Zeile 59. Nur am Rande: Die Zeile 41 suche ich noch immer. Wer fündig geworden ist, möge mir bitte Bescheid geben.

Fazit:

Die Finanzverwaltung gibt sich schon seit Jahren weder Mühe mit ihren Steuererklärungsvordrucken noch mit ELSTER. Ich habe keine Ahnung, ob sie redaktionell geschulte Mitarbeiter oder Dienstleister beauftragt hat, die die Erläuterungstexte schreiben. Ich habe auch keine Ahnung, ob Testläufe mit steuerlich unbelasteten Personen erfolgen, bevor Vordrucke veröffentlicht und Programme freigeschaltet werden. Ich vermute aber, dass dies nicht der Fall ist. Bei der Einkommensteuer kann man diesen Kardinalsfehler noch verbergen, weil Steuerpflichtige entweder auf Steuerberater bzw. Lohnsteuerhilfevereine zurückgreifen oder weil sie eines der gängigen Steuererklärungsprogramme nutzen. Bei der Grundsteuer fällt ihr dieser Fehler aber auf die Füße. Wohl kein Unternehmen käme auf die Idee, auf die Benutzererfahrung, neudeutsch „user experience“ zu verzichten, bevor ein Programm an den Start geht. Die Finanzverwaltung scheint dies nicht für nötig gehalten zu haben – wohlgemerkt bei 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten, die es zu bewerten gilt.

Die Mitarbeiter der Finanzverwaltung mögen mir meine bissigen Kommentare verzeihen. Ich weiß, dass sie es nicht leicht haben. Die Zeit zur Umsetzung der Gesetzesänderung war knapp bemessen und die IT der Finanzverwaltung ist personell nicht gerade überbesetzt. Und wenn sich die Politik nicht auf ein bundeseinheitliches Modell zur Bewertung von Immobilien für Grundsteuerzwecke einigen kann, ist das ohnehin ein Armutszeugnis.

Lesen Sie hierzu auch das Update vom  27.07.2022:
https://www.nwb-experten-blog.de/digitale-grundsteuererklaerung-es-wird-immer-abstruser/


 

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